25.05.2014, Sonntagszeitung

Wenn schon Gammelfleisch, dann richtig

Vom kanadischen Bison-T-Bone bis
 zum Steak mit Schimmelpilz: Die Nachfrage nach exquisitem Fleisch nimmt stark zu.

Von Stephanie Rebonati
Foto: Dave Zangger

Was früher als snobistisch galt, ist heute hip. Der einst unkomplizierte Spaghetti-Plausch: Neuerdings eine Demonstration selbst gemachter Nudeln und eigenhändig geernteter Tomaten. Die Grillade, vormals unbekümmerte Schlemmerei: Heute unfreiwillige Schulung des Wortschatzes. Wagyu, Yak, Limousin, Hereford, Sanabresa und Blonde d’Aquitaine: Es handelt sich dabei um Rinderrassen.

Oder Luma, ein Schweizer Veredelungsverfahren von Fleisch mit Einsatz von Schimmelpilz: ein 2010 initiiertes Start-up zweier Schaffhauser Jungunternehmer, die mit ihren Luxussteaks die Spitzengastronomen beliefern. 2012 veredelten Lucas Oechslin und Marco Tessaro mit ihrem patentierten Schimmelpilzverfahren 400 Kilo Schweizer Rind, Kalb und Schwein pro Monat. Heute sind es monatlich 1,5 Tonnen.

Kochen wird gemäss dem European Food Trends Report 2013 des Gottlieb-Duttweiler-Instituts zum Luxushobby – und zur Profilierungsangelegenheit. Connaisseurship betreffend Zutaten, Qualität, Herkunft und Zubereitung ist laut der Studie ein neues Statussymbol. Ein Trend, der in der Schweiz vor allem Fleischproduzenten, Gastronomen und Importeuren zugute kommt. Auch bei Migros und Coop steige die Nachfrage nach hochwertigem Fleisch konstant, sagen deren Sprecher. Bei der Migros sei die Nachfrage nach Schweizer Bio-rind und -kalbf leisch des Terra-Suisse-Labels gar höher als das Angebot: «Leider können uns die Landwirte nicht die benötigten Mengen liefern», sagt Migros-Sprecherin Monika Weibel.

Gebeutelt von Rinderwahn, Vogel- und Schweinegrippe, von Lebensmittelskandalen um Antibiotika und Östrogen weckt die Fleischindustrie vor allem eines bei Konsumenten: Skepsis. Wenn aber ein Bauer, Importeur oder Wirt von zotteligen, cognacfarbenen Kühen erzählt, die auf Kräuterwiesen weiden – auf einer Finca in Nordspanien etwa oder im malerischen Appenzellerland –, die sich viel bewegen und vor Ort geschlachtet werden, um ihnen den Schlachthofstress zu ersparen. Dann vermittelt das: ein gutes Gewissen. Diese Tiere liefern hochwertige Filets, Entrecôtes, Hohrücken, Colliers und Huftsteaks. Fleisch, das Produzenten bis zu zwei Monaten am Knochen reifen lassen, bis es rosa, tiefrot, ja zart, saftig und marmoriert ist. Fleisch, das kostet. In den Preisen inbegriffen: das Versprechen, dass Qualität und Herkunft stimmen.

Nierstück, Racks, Sirloin, Tenderloin und Rumpsteak – das Fleischangebot der Grossverteiler ist vielfältig. Bei Coop gibt es Filet vom kanadischen Bison. 48 Franken für 300 Gramm. Dasselbe Stück, hingegen vom irischen Charolais-Rind, kostet bei der Migros rund 33 Franken. Auch ein Stück von Dieter Meiers «Premium Beef», grasgefüttert in der freien Natur Argentiniens, ist bei Coop nicht unter 25 Franken erhältlich.

«Die Leute wollen wissen, woher ihr Fleisch stammt»

Wie Konsumenten setzen auch Wirte auf hochwertiges Fleisch – und vermehrt auf lokales: etwa Bolognese vom Baselbieter Kalb, Seeländer Jungsäuli mit Pinienkernenkruste, Berner Oberländer Berglamm mit Rosmarinjus. Die Schweizer assen 2013 knapp 52 Kilo Fleisch pro Kopf, wobei rund 79 Prozent davon aus Inlandproduktionen stammten. Der Rest wurde laut der Schweizer Branchenorganisation Proviande vorwiegend aus Brasilien und Deutschland importiert. Nicht separat in der Statistik erhoben werden kleine, spezialisierte Importeure, wie der Zürcher Myron Bingham einer ist. Seit zehn Jahren verkauft er Schweizern argentinisches Qualitätsrindfleisch und hat im Januar im Zürcher Kreis 4 das Restaurant Gaucho eröffnet. Bingham sagt: «Die Nachfrage hat spürbar zugenommen. Die Leute wollen wissen, woher ihr Fleisch stammt, und geben dafür gerne Geld aus.»

Die einen, die «heavy users», würden das regelmässig tun, die anderen, etwa Studenten, würden sich das Black Angus Beef aus Argentinien, das nach sechswöchiger Schiffsreise in Europa ankommt, zu speziellen Anlässen leisten. Wenn Fleisch, dann richtig. Dasselbe beobachten Lucas Oechslin und Marco Tessaro vom Schweizer Start-up Luma. «Der bewusste Konsum von Fleisch ist ein neues Statussymbol», sagt der 31-jährige Oechslin. Das vor allem in der Sternegastronomie beliebte Luma-Fleisch ist dank dem soeben lancierten Onlineshop für alle erhältlich, die bereit sind, für ein Rib Eye Steak vom japanischen Wagyu (auch Kobe genannt) 53 Franken hinzulegen. Oder 620
Franken für drei Kilo Tenderloin-Steak aus Nebraska.

Auch Schweizer Bauern setzen auf den direkten Onlineverkauf. Etwa der Biohof Niederried im Emmental. Die rohen Fleischstücke sind stilvoll inszeniert, auf einer schwarzen Schieferplatte, garniert mit Rosmarin und Fleur de Sel, um vor allem bei trendbewussten Konsumenten Appetit zu wecken. Denn diese laden dann zur Tavolata, tischen Emmentaler Angus-Huftsteak auf, schwärmen über dessen Marmorierung und befriedigen Gaumen und Gewissen.

Der deutsche Feuilletonist Hilmar Klute empörte sich in der «Süddeutschen Zeitung» über die zelebrierte Demonstration der eigenen Geschmacksverfeinerung und wurde scharf dafür kritisiert. Er sagte: «Tu in das Essen rein, was du willst, aber erklär es mir nicht.» Und er mutmasste: «Man will sich wegkochen von der Lidl-Gesellschaft, ist es das?»

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