07.01.2018, Sonntagsblick Magazin
Nächstes Wochenende beginnen die Mailänder Modeschauen. Zeit, sich zu erinnern, wieso aus Italien die besten Herrenschneider kommen. Zum Glück gibt es ein Buch, das genau das beschreibt.
Von Stephanie Rebonati
Italien. Wo die Gebäude der Renaissance stehen, wo sich das Mittelmeer an die Küsten schmiegt und wo die Leute über ein kostbares Gut verfügen, das wir auf der anderen Seite der Alpen nicht mitbekommen haben: Nonchalance. Der Italiener beherrscht die Kunst, ungezwungen lässig zu erscheinen. Er untermalt seine Sätze mit Gestik, und wenn er mit seiner Vespa über die Piazza flitzt oder an der Bar den Caffè bestellt, macht er stets eine Bella Figura – was weit mehr ist als ein Motto. Es ist eine Lebensart, die darauf besteht, einen guten Eindruck zu machen. Dass die Bekleidung dabei eine zentrale Rolle spielt, beweist ein soeben erschienenes Buch, in dem es um weit mehr als um Mode geht.
Giuseppe Attolini erzählt darin, wie sein Grossvater Cesare vor 87 Jahren das Herrenjackett revolutionierte: Er entledigte es unnötigen Ballasts, machte es luftig und lässig für die Bella Figura. Mariano Rubinacci erinnert sich an seinen Vater Gennaro, einen berüchtigten Dandy im Neapel der 30er-Jahre, und Francesco Barberi führt stolz durch das 200-jährige Archiv seiner Stofffabrik. Es ist eine Männerdomäne mit viel Feingefühl. Die Herren drapieren Büsten, nehmen Mass, schneiden und zeichnen, stets unter Aufsicht ihrer Vorfahren, die als Ölporträts die Wände zieren.
Die Geschichte des italienischen Schneiderhandwerks ist eine anekdotenreiche, vielfältig wie das Land selbst. Sie handelt von Familienunternehmen, die in 13. Generation geführt werden. Von alten Herren, die als Buben lernten, massgeschneiderte Hemden zu nähen. Von Regenschirmmeistern, die seit 1854 dafür sorgen, dass das Erscheinungsbild des Bel Signore wetterfest ist, und von Krawattenmeistern, die Italiens Premiers ausstatten. Man begegnet Ein- und Zweireihern, Nadelstreifen und Kitteln aus Samt. Einstecktüchern, Ledermokassins und farbig eingefassten Knopflöchern.
Die feine Herrenbekleidung ist keine italienische Errungenschaft – die Briten haben es erfunden. Doch es waren die Italiener, die massgeblich dazu beitrugen, dass die Massschneiderei jenen Status erlangte, den sie bis in die 80er-Jahre hinein behauptete. Dann folgten Standardgrössen, H&M und Made in China, was für viele Ateliers Italiens das Ende bedeutete. Die Maestri in diesem Buch gibts aber heute noch, weil sie etwas ausmacht. Der Autor Hugo Jacomet erklärt es so: «In jedem Schnitt steckt ein Stück ihrer Seele.»
Buch: Hugo Jacomet, The Italian Gentleman, Rizzoli.