13.01.2020, NZZ Bellevue

Was erzählen Kleider über Machtverhältnisse?

Eine anregende Ausstellung am Fashion Institute of Technology in New York beleuchtet eine komplexe Beziehung: das Verhältnis zwischen Mode und Macht.

Von Stephanie Rebonati

Es ist ein vielbespieltes und nur schwer einzugrenzendes Thema: was die Mode alles kann. Was sich dabei allerdings unbestritten bewährt, ist die Idee, dass sie mächtig ist. Ziviler Widerstand, sexuelle Befreiung, staatliche Tyrannei und die Ermächtigung marginalisierter Gemeinschaften, Mode spielt immer eine Rolle.

«Power Mode: The Force of Fashion», die aktuelle Ausstellung am Fashion Institute of Technology in New York, behandelt das vielschichtige Thema anhand fünf Kategorien: Militär, Status, die Geschichte des Anzugs, Widerstandsbekleidung und Sex. Es ginge weder bei diesen Einordnungen noch bei der Schau per se um absolute Aussagen, sondern vielmehr um eine Einladung zum Gespräch, um eine gewisse Bewusstseinswerdung, wie Kuratorin Emma McClendon erklärt: «Mode ist eine Art Sprache, durch welche wir unsere Körper sichtbar und verständlich machen. Wir schicken mit unserer Kleidung stets Botschaften, und ich hoffe, dass ‹Power Mode› helfen kann, das allgemeine Bewusstsein zu erhöhen, so dass wir Objekte, die uns umgeben, besser verstehen.»

Machtdynamiken manifestieren sich in der Mode
Dass es sich nicht lediglich um Powerdressing in der Tradition der 1980er Jahre handelt, wofür aber äusserst feine Exponate aus dem Museumsarchiv gehoben wurden, wird gleich am Eingang unmissverständlich klar. In einem Leuchtkasten schwebt ein schwarzer Kapuzenpullover der Marke Off-White. Eine politische Aussage des Designers Virgil Abloh. Ein scheinbar bedeutungsloses Textil, das je nach Kontext, je nach Körper, drastisch verschieden gelesen wird. Im Falle des 17-jährigen Afroamerikaners Trayvon Martin, der 2012 dem Vorsteher einer Nachbarschaftswache in Florida wegen seines schwarzen Hoodies als «suspekter Typ» vorkam, war es ein Todesurteil. 

Auf relativ engem Raum gelingt es Emma McClendon, grosse konzentrische Kreise zu ziehen, welche auf die sozialen, politischen und kulturellen Machtdynamiken weisen, die sich in der Mode manifestieren. Anhand von beschrifteten Baseballkappen und T-Shirts deutet sie auf die Kommerzialisierung politischer und literarischer Statements (siehe «Make America New York» oder «We Should All Be Feminists», Titel des gleichnamigen Essays der nigerianischen Autorin Chimamanda Ngozi Adichie), anhand des rosa Bustiers von John Galliano erinnert sie an die Emanzipation von Unterwäsche zu Oberbekleidung und so weiter.

«Mir geht es um die Bekämpfung der Annahme, dass Mode eine oberflächliche Angelegenheit ist», sagt sie, was umso mehr einleuchtet, sobald man einer schweren Chanel-Goldkette gegenübersteht, Teil von Karl Lagerfelds Hip-Hop-Kollektion von 1991. Aus popkultureller Sicht ist man sich heute einig: Jene Entwürfe sind Lehrbuchbeispiele kultureller Appropriation.

Obwohl sich unter den Einzelteilen dieser Ausstellung wahre Perlen befinden, etwa ein cremefarbiger Nadelstreifenanzug von Yves Saint Laurent, einer der ersten für Frauen und laut dem Kleingedruckten übrigens eine Schenkung der grossen Lauren Bacall, ist es vielmehr ihre Summe, welche diese Ausstellung zur äusserst anregenden Erfahrung macht.

Unweigerlich drängt sich die Frage auf: Was erzählt mein Kleiderschrank über die Machtverhältnisse, die sich symbolisch auf meinem Körper abspielen?

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