06.10.2015, Hochparterre
Was macht den Designberuf heute aus? Welche Verantwortung trägt die Architektin gegenüber der Gesellschaft? Was treibt die junge Generation von Kreativen an? Was beschäftigt und interessiert sie? Wie sehen sie ihre Zukunft? Für diese Hochparterre-Sonderausgabe haben wir vierzehn junge Gestalterinnen und Gestalter gefragt, wie sie ihre Arbeit und ihren Beruf verstehen. Wir wollten herausfinden, wie sie ihren Alltag organisieren, was sie für Gebäude, Räume und Produkte gestalten und weshalb sie die Herausforderung eines Kreativberufs überhaupt annehmen. Die vierzehn Protagonisten stammen aus der Schweiz, und einige sind erst vor Kurzem hierher gezogen. Am Nachmittag des 26. Juni2015 reisten alle nach Zürich und trafen sich im Erkerzimmer des Zentrums Karl der Grosse im Zürcher Oberdorf, um am Gespräch teilzunehmen. Draussen brannte die Sonne bei fast 40 Grad, drinnen wurden Mandeln und getrocknete Mango-Schnitze gereicht. Ein Baby war auch mit von der Partie.
Von Stephanie Rebonati, Lora Sommer, Simon Gysel, Jonas Hunziker
HOCHPARTERRE: Gibt es Schweizer Design und Schweizer Architektur?
LISA OCHSENBEIN: Im Design ist der internationale Einfluss stark. Wir informieren uns über Blogs und setzen uns mit Erzeugnissen aus der ganzen Welt auseinander. Im Supermarkt und im Möbelhaus ist alles international. Alles durchmischt sich, darum ist es schwierig zu definieren, was Schweizer Design ist.
SARAH KÜNG: Der Begriff Schweizer Design ist überflüssig. Unsere Generation ist im europäischen Kontext aufgewachsen. Wir gehen, wir kommen. Alles Nicht-Schweizerische ist viel grösser als alles Schweizerische zusammen, sofern man überhaupt noch unterscheiden kann.
HOCHPARTERRE: Was sagen die Architekten dazu?
MATTHIAS WINTER: Um zu bauen, braucht es politische Entscheidungen. Und die Politik ist in der Schweiz doch sehr spezifisch. Die Architektur ist das Resultat dieses Prozesses, meist ein Kompromiss. Und der Kompromiss ist der Feind jeder Idee.
HOCHPARTERRE: Gibt es konkrete Beispiele, woran erkennbar ist, dass der Kompromiss die ursprüngliche Idee vernichtet hat?
MATTHIAS WINTER: Ich arbeite aktuell an einem Wettbewerb, bei dem von vierzehn Jurymitgliedern gerade mal fünf Architekten sind. Die anderen sind Akustikspezialisten, Bauingenieure, Umweltingenieure, Politiker oder Ökonomen. Diese vertreten alle ihre Interessen. Grundrisse, Schnitte und Pläne sind redundant, weil die Mehrheit der Jury sie gar nicht lesen kann. Meistens gewinnen Projekte, die sich gekonnt an allen diesen Interessen vorbei manövrieren. Dies führt aber nicht zu guter Architektur, sondern zum Kompromiss.
HOCHPARTERRE: Was bietet euch Architekten die Schweiz als Standort?
BORIS GUSIC: In der Schweiz gibt es gute Handwerker. Das Niveau ist hoch. Wenn man etwa in London baut, ist viel mehr Improvisation gefragt, weil die Handwerker weniger gut ausgebildet sind.
HOCHPARTERRE: Anna, dein Kollektiv Postfossil produziert in der Schweiz. Könnte das auch woanders sein?
ANNA BLATTERT: Ich denke, wir könnten woanders arbeiten, sofern man dort lokal produzieren kann. Wir schauen bei jedem Produkt, was es vor Ort Handwerk, Materialien und Know-how gibt. Wir konnten gewisse Dinge nicht realisieren, weil das Wissen in der Schweiz nicht oder nicht mehr vorhanden ist. Bei Postfossil ist das ein grosses Thema und auch bei Freitag, wo ich Teilzeit arbeite. Postfossil produziert in der Schweiz. In Kleinserien. Wir müssen uns ständig rechtfertigen, weshalb die Preise so hoch sind. Die Löhne sind hier hoch, dafür stimmt auch die Qualität. Längerfristig werden sich aber auch die Produktionskosten im Ausland verändern. Es ist teilweise völlig irre, was wir für Beträge bezahlen oder eben auch nicht.
HOCHPARTERRE: Sarah, du warst die letzten drei Jahre in Hamburg als Stadtplanerin tätig. Was bietet dir nun deine neue Heimat Zürich?
SARAH ASSEEL: Die Leute sind hier offener, was neue Ideen angeht. Hier treffe ich auf Politiker, die ein anderes Verständnis davon haben, was Stadt sein soll. Sie verstehen, dass die Stadt kein Gut ist, das einfach verkauft werden kann. Das zeigt sich beispielsweise an der Wohnüberbauung Kalkbreite in Zürich. Da wurde Wohnungsbau komplett neu gedacht. Oder an der Tatsache, dass der Anteil von Genossenschaftswohnungen in Zürich 25 Prozent beträgt und auf 33 Prozent gesteigert werden soll. Im Vergleich zu vielen Städten in Deutschland ist das beachtlich!
HOCHPARTERRE: Matylda, auch du bist vor kurzem in die Schweiz gezogen, um für das Designprojekt Depot Basel zu arbeiten. Dank dem Internet kann man heute doch von überall aus arbeiten?
MATYLDA KRZYKOWSKI: Die letzten Jahre bin ich andauernd zwischen London, Basel und Maastricht gependelt. Daran kann Energie verloren gehen. Das Depot Basel ist hier, darum bin ich vor sechs Monaten in die Schweiz gezogen. Ich halte das physische Treffen und das gemeinsame Arbeiten als Chance, um Projekte nachhaltig aufzubauen. Da muss man das Handy ausschalten und diskutieren können. Kein Skype, kein E-Mail.
HOCHPARTERRE: Das Depot Basel würde aber auch in London oder Maastricht funktionieren?
MATYLDA KRZYKOWSKI: Das Verhandeln von kontemporärer Gestaltung kann überall funktionieren. Aber in der Schweiz wird das, was wir tun, das Ausstellen und Vermitteln wahrgenommen und gefördert. Wir sind in eine Nische gerutscht, die das überhaupt möglich macht.
HOCHPARTERRE: Aleksandra, du bist vor vier Jahren wegen einer Regieassistenz am Theater der Künste von Belgrad nach Zürich gezogen. Inwiefern unterscheiden sich die schweizerische und serbische Kreativbranche voneinander?
ALEKSANDRA GUSIC: Die Natur der Leute und die Natur der kreativen Arbeit sind dieselbe – das ist universell. Hierzulande gibt es gute Strukturen, die kreatives Arbeiten begünstigen. Das schätze ich an der Schweiz.
HOCHPARTERRE: Camilla, die Textilindustrie ist grösstenteils aus der Ostschweiz abgewandert und doch ist sie noch immer Synonym dafür.
CAMILLA BERNBACH: Textil ist Ostschweiz, dort ist unglaublich viel Wissen vorhanden. Was es aber nicht gibt, ist die Modeindustrie. Der Stoff ist ein Halbprodukt. Um zu sehen, was daraus gemacht wird, muss man in die Welt hinaus, nach London und Paris.
IM ÜBERFLUSS
Im Unterschied zu den Generationen vor uns leben wir in einer Welt voller überflüssiger Produkte. Schneller als je zuvor wird produziert, benutzt und weggeworfen.
HOCHPARTERRE: . Wieso entwerft ihr als Gestalter überhaupt noch neue Produkte?
ANNA BLATTERT: Weil ich etwas besser machen möchte und weil ich daran glaube, dass man als Designer Aussagen zu Themen machen kann, die es so noch nicht gibt. Mich beschäftigt etwa der Ressourcenverbrauch. Ich kann versuchen, ein Produkt zu entwickeln, das in Material, Formgebung und Logistik bereits Ressourcen schont und so dem Kunden eine Alternative bieten. Das Wichtigste scheint mir aber, beim Konsumenten ein Bewusstsein zu schaffen, denn das führt zu einer wirklich nachhaltigen Veränderung. Das ist vielleicht nicht die Kernaufgabe eines Produktdesigners, aber im Hinblick auf die heutigen globalen Herausforderungen ist es fahrlässig, das auszublenden.
HOCHPARTERRE: Wie oft gelingt es einem Designer, Neues zu kreieren?
ANNA BLATTERT: Immer wieder. Sonst würden wir ja stehen bleiben. Man sieht immer wieder interessante Entwürfe, die einem die Augen öffnen. Die neue Standards setzen, auf denen andere aufbauen können. Sei es durch das Weitertreiben einer Verarbeitungstechnik oder durch die Entwicklung einer eigenständigen Formensprache.
ANTHON ASTROM: Vielleicht geht es in der Gestaltung heutzutage nicht unbedingt um neue Ideen oder darum, Bestehendes besser zu machen. Vielleicht geht es ums Hinterfragen. Die Dinge immer wieder auf den Kopf stellen und schauen, was herauskommt. Wir haben die Tools dazu. Wir haben die Möglichkeiten, um diese Diskussion zu führen.
HOCHPARTERRE: Was tragt ihr als junge Gestalter der Gesellschaft und Umwelt gegenüber für eine Verantwortung?
SARAH KÜNG: Wir dürfen die Augen nicht verschliessen. Wir dürfen nicht so tun, als wüssten wir über gewisse Dinge nicht Bescheid. Etwa über den Müll und die ganzen Probleme der Generationen vor uns. Wir können nicht einfach so tun, als gäbe es das nicht. Daher gehen wir anders an die Dinge heran. Das heutige Wissen, die Forschung – wir wissen viel, aber gleichzeitig doch nicht, was wir damit anfangen sollen. Die Kunst liegt darin, dieses Wissen in die Arbeit einfliessen zu lassen.
BORIS GUSIC: Einen Beitrag zu leisten, ist das Wichtigste, das wir als junge Generation von Gestalterinnen und Gestaltern tun können. Wir können uns nicht auf die bestehenden Abermillionen von Produkten und Häusern zurückbesinnen und sie ständig referenzieren. Der Zeitgeist ändert sich, die Lebensumstände ändern sich, die Ansprüche ändern sich, das ruft alles nach neuen Gegenständen und Gebäuden. Wir müssen all diese Produkte und Gebäude in einen jeweils neuen Zusammenhang bringen und dadurch neues kreieren. Wir gehen ja voran, wir gehen definitiv in eine Richtung. Ich weiss nicht genau wohin, aber ich glaube, dass unser Weg uns stets vor neue Herausforderungen stellt. Diese anzunehmen, ist unser Beitrag.
ANNA BLATTERT: Komplexität ist heutzutage die grösste Herausforderung. Die Themen, mit denen sich unsere Branche, ja unsere gesamte Gesellschaft, auseinandersetzt, sind komplex und ineinander verstrickt. Etwa die Herkunft und Gewinnung von Rohstoffen, anfallende Nebenprodukte, soziale Themen, die Zerstörung der Landschaft, der Klimawandel unser gestörtes Konsumverhalten. Wenn man die Zusammenhänge in seiner Gestaltung berücksichtigen und verantwortungsbewusst produzieren möchte, ist man schnell überfordert. Man muss Systemgrenzen definieren.
HOCHPARTERRE: War es für frühere Generationen einfacher kreativ zu sein?
LISA OCHSENBEIN: Jede Generation hat dieselben Schwierigkeiten. Als Designer beschäftigt man sich mit der gegenwärtigen Umgebung: was umgibt einen, was könnte daraus entstehen? Wie kann man das mitgestalten oder in eine Richtung entwickeln, die einen interessiert? Welche Probleme kann man ansprechen und bearbeiten? Jede Generation beschäftigt sich mit den gleichen Fragen.
MATYLDA KRZYKOWSKI: Ich finde den Vergleich schwierig. Natürlich kann man immer schauen, was frühere Generationen gemacht haben und von der Vergangenheit lernen. Ich finde es aber wichtiger, darüber nachzudenken, was die aktuelle Verantwortung des Gestalters ist und was wir der Generation nach uns mitgeben.
BORIS GUSIC: Unsere Generation von Gestaltern muss eine Antwort finden auf die Wegwerfgesellschaft, in der wir uns befinden. Dinge kreieren, die wirklich Wert haben, das ist unsere Aufgabe.
LISA OCHSENBEIN: Aber nicht nur bessere Produkte entwerfen, sondern auch die Diskussion darüber ankurbeln. Ich engagiere mich beispielsweise mit dem Projekt «Pumpipumpe» für das Teilen von Alltagsgegenständen und somit einen Ressourcen schonenderen Umgang mit Konsumgütern. Ich möchte über die Disziplin hinaus etwas bewegen. Das ist mein Ziel als Produktdesignerin und gleichzeitig meine Verantwortung.
ANTHON ASTROM: Aber was heisst bessere Produkte? Ist etwas besser, wenn es länger hält? Oder ist etwas besser, wenn es oft verkauft wird? Ich glaube, dass sich die Definition von besser verändert hat. Der Markt treibt Produkte voran, die schnell kaputtgehen, weil sie rein ökonomisch betrachtet besser sind. Die Verantwortung des Designers ist es, zu entschleunigen und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf relevante Aspekte zu lenken. Slow things down! Aspekte, die über die wirtschaftliche Effizienz eines Produkts hinausgehen. Langlebigkeit etwa.
LISA OCHSENBEIN: Ja, aber wenn du das beeinflussen willst, dann musst du auf die Gesellschaft und die Kultur Einfluss nehmen können. Und dann musst du dir wieder überlegen, ob es der richtige Weg ist, ein neues Produkt zu designen oder zu versuchen, den Umgang mit Produkten zu verändern.
ANTHON ASTROM: Aber genau das könnte interessant sein! Als Designer zur Diskussion aufrufen. Nicht nur Produkte designen und irgendwo verstauen, sondern Fragen stellen. Auch bei Wahlen und politischen Diskussionen.
ANNA BLATTERT: Die Frage ist, ob man etwas an seiner Umgebung mitgestalten, eine Veränderung herbeirufen, zur Diskussion aufrufen will, oder ob man ein möglichst schönes neues Objekt entwerfen möchte. Das sind zwei verschiedene Herangehensweisen.
HOCHPARTERRE: Matylda, du schmunzelst. Was geht dir durch den Kopf?
MATYLDA KRZYKOWSKI: Ich schmunzle, weil wir uns beim ‹Depot Basel› in den ersten Jahren vor allem mit Möbel und Alltagsgegenständen auseinandergesetzt haben. Dieses Jahr haben wir uns vom Objekt distanziert, um Gestaltung inhaltlich zu verhandeln. sind wir komplett vom Objekt weggekommen. Wir machen jetzt Ausstellungen. Wir haben zum Beispiel die unbezahlte kreative Arbeit thematisiert oder das Kollektiv als zukünftige Form der Arbeitsorganisation.
HOCHPARTERRE: In eurer nächsten Ausstellung, die im Vitra Design Museum Gallery gezeigt wird, geht es um die Frage, ob Designer überhaupt eine Haltung brauchen. Weshalb förderst du diese Diskussion?
MATYLDA KRZYKOWSKI: Weil wir vor lauter Produzieren verlernt haben, uns der Konsequenz unserer Entscheidungen bewusst zu sein. Wir arbeiten gerade an einem Automaten, der in der Ausstellung stehen wird und der zehn Fragen stellt. Es geht darum, die eigene Haltung zu eruieren.
BILDUNG
Matylda Krzykowski kam im letzten Jahr weg vom Objekt und macht heute Ausstellungen. Lisa Ochsenbein setzt sich für das Konzept des Sharing ein und Anthon Astrom zeichnet das Bild eines Designers, der politisch und gesellschaftlich zur Diskussion aufruft. Die junge Generation entwickelt eigene Berufsbilder, die ihnen keine Ausbildung vorgibt.
HOCHPARTERRE: Hat euch eure Ausbildung auf den aktuellen Diskurs vorbereitet?
MATYLDA KRZYKOWSKI: Nein. Ich hatte nie das Gefühl, dass mich die Ausbildung darauf vorbereitet. Ich habe im Internet mehr gelernt. Und durch das Erproben und den Austausch mit anderen.
MIRIAM HUWYLER: Bei uns im Textildesign war die Ausbildung stark auf das Gestalterische und Handwerkliche ausgerichtet. Uns wurde Textildesign beigebracht, wie es heute kaum mehr praktiziert wird. Ich habe das genossen, aber mir fehlte der Bezug zur Berufswelt. Es wäre spannend gewesen, Personen aus der Praxis kennenzulernen und so mehr über die Realität des Berufes zu erfahren.
MATTHIAS WINTER: Ich finde, im Studium soll es um Ideale und um Forschung gehen. Studenten nur auf den Markt vorzubereiten ist ziemlich...
BORIS GUSIC: ...schade, oder? Die Berufslehre bereitet dich auf den Markt vor. Ein Studium ist etwas Akademisches. Es bereitet den Kopf vor. Man lernt zu denken und Probleme zu lösen. Ich finde es wichtig, dass das Studium inhaltlich an den Beruf heranführt, aber es muss nicht beibringen, wie der Beruf ausgeübt wird.
HOCHPARTERRE: Boris, hat dich dein Architekturstudium an der ETH Zürich auf den Arbeitsmarkt vorbereitet?
BORIS GUSIC: Unser Studium bereitet uns fast zu krass auf den Markt vor. Nach der ETH bist du perfektes Bürofutter. Nach dem Diplom kannst du dich in ein Büro setzen und Wettbewerbe schrubben. Andererseits schafft die ETH ein fantastisches Fundament in Soziologie und Geschichte. Ich fände es besser, wenn der Umgang mit der Welt stärker in den Vordergrund rücken würde.
ALEXANDER BARINA: In einer der ersten Vorlesungen an der Bauhaus Universität in Weimar habe ich erfahren, dass nur die Hälfte der Architekturabsolventen nach dem Studium als Architekten tätig ist. Wir bekommen also genug Inhalt mit auf den Weg, um auch in anderen Berufsfeldern zu reüssieren. Man ist nach dem Architekturstudium kein Fachidiot. Das ist eine Qualität dieser Ausbildung an der Universität. Sie bereitet dich nicht nur spezifisch auf den einen Beruf vor, wie das etwa an der Fachhochschule der Fall ist.
MATTHIAS WINTER: Ich habe mal gehört, dass die meisten Absolventen, die nicht als Architekten tätig sind, Webdesigner werden, da wir die Werkzeuge beherrschen, das Zeichnen und das Programmieren. Wir können entwerfen und ziemlich rasch etwas in die Welt stellen. Egal, was es ist. Trotzdem finde ich, dass man vorsichtig sein sollte. Man ist nach dem Architekturstudium ja doch ein Experte für dieses Berufsfeld.
HOCHPARTERRE: Die Frage ist, ob man nur etwas sein kann, wenn man es studiert hat?
MATTHIAS WINTER: Peter Zumthor hat nie Architektur studiert.
MATYLDA KRZYKOWSKI: Jaja, aber das ist schon eine Weile her.
MATTHIAS WINTER: Peter Märkli hat auch nicht abgeschlossen.
MATYLDA KRZYKOWSKI: Das sind vorbildliche Einzelfälle.
MATTHIAS WINTER: Rem Koolhas wurde von der Schule geschmissen.
HOCHPARTERRE: Anthon, du hast Naturwissenschaften und Bildende Kunst studiert und bist heute als Designer tätig. Was hat dir das Studium mitgegeben?
ANTHON ASTROM: Während des Studiums bewegte ich mich zwischen den unterschiedlichen Disziplinen. In der Bildenden Kunst hast du verschiedene Departemente: Fotografie, Grafik, Audio und so weiter. Wenn du etwas umsetzen wolltest mit einer dieser Disziplinen, dann musstest du Kontakte knüpfen. Du konntest nicht in einen Workshop sitzen und erwarten, dass jetzt ein Projekt entsteht.
HOCHPARTERRE: Du hast im Studium also gelernt dich zu vernetzen?
ANTHON ASTROM: Auf eine Art, ja. Aber es ging nicht um Networking, sondern darum zu verstehen, was das Gegenüber macht. Dadurch erkennt man, dass fremde Inhalte zwar zunächst komplex wirken können, aber keine Hexerei sind, wenn man sich damit auseinandersetzt. Nehmen wir das Programmieren als Beispiel. Wir bewegen uns zunehmend in einer digitalen Kommunikationswelt und alles wirkt kompliziert und undurchschaubar. Dabei müssen wir nur ein Verständnis für das Digitale etablieren, sodass wir dahinter sehen und das Ganze kritisch hinterfragen können.
BORIS GUSIC: Und dadurch eine gewisse Unabhängigkeit erreichen.
ANTHON ASTROM: Man soll verstehen, dass auch das Programmieren nur ein Handwerk ist und nichts Magisches. Es sind Algorithmen. Da hat es eine eins, eine null, alles ist logisch. Wir können alles verstehen, wenn wir wollen, und alles verändern.
HOCHPARTERRE: Gibt es Inhalte, die man dem Curriculum des Design- und Architekturstudiums hinzufügen müsste?
LISA OCHSENBEIN: Nicht unbedingt. Ich finde es wichtig, dass sich das Curriculum mit dem Zeitgeist entwickelt. Ich beobachte das als Assistentin im Industrial Design an der Zürcher Hochschule der Künste. Vor zwei Jahren wurden die Ausrichtungen des Studiengangs geändert. Vorher lag der Fokus auf Möbeldesign und jetzt heissen die Disziplinen ‹Neue Technologien›, ‹Ökologische Nachhaltigkeit› und ‹Soziale Relevanz›. Das sind Themen, die während meiner Ausbildung an der ECAL vor sechs Jahren noch nicht gross besprochen wurden.
BORIS GUSIC: Ich würde nicht das Curriculum des Studiums ändern, sondern viel früher ansetzen. Dem Lehrplan der Volksschule könnte man Inhalte wie Soziologie, Architektur und Design hinzufügen. Gleichwertig wie die ganzen Sprachen und Naturwissenschaften. Die Grundschule prägt uns alle, weil wir da alle durchmüssen. Soziologie, Architektur und Design, das sind Themen, die uns jeden Tag betreffen. Wenn wir drinnen sind, wenn wir draussen sind, wenn wir miteinander reden. Im Grunde sind unsere Disziplinen in der Volksschule nur mit Zeichnen und Handarbeit vertreten. Gäbe es eine frühere Auseinandersetzung, wäre das Verständnis für unsere Umwelt abseits von Excel ein anderes.
LISA OCHSENBEIN: Ich finde den Ansatz gut, aber für mich geht es weniger um die Vermittlung konkreter Disziplinen, als vielmehr um die Vermittlung einer Art kreativen Denkens.
BORIS GUSIC: Ja, jaja!
LISA OCHSENBEIN: Man könnte es Kreativstrategien nennen. In Deutschland gibt der Verlag Bundeszentrale für politische Bildung spannende Publikationen für Schulen heraus. Die wollen, dass sich Schüler mit ihrer Umwelt auseinandersetzen und Strategien entwickeln, um kreativ tätig zu sein. Zum Beispiel werden die Kinder aufgefordert sich Strassennamen ihrer Stadt anzuschauen und zu überlegen, weshalb die so heissen.
DIMITRI BÄHLER: Die Kinder sollten in der Grundschule ansatzweise vermittelt bekommen, was ein Architekt macht oder eine Designerin. Was die Gestaltung der Gesellschaft allgemein nützt. Ich wusste nicht, was Design ist, bis ich an der ECAL mit dem Studium begonnen habe.
HOCHPARTERRE: Wieso bist du denn an der ECAL gelandet?
DIMITRI BÄHLER: Mein Lehrer im bildnerischen Gestalten hat mir geraten, es an der ECAL zu probieren. Also ging ich hin.
BORIS GUSIC: Ich habe mich erst drei Wochen vor Semesterbeginn an der ETH angemeldet. Also ziemlich verspätet. Ich wollte eigentlich an die Hochschule St. Gallen. Zum Glück kam es anders. Ich habe mir unter dem Architekturstudium etwas Brückenbau und Mathematik vorgestellt. Es war das komplette Gegenteil.
MATTHIAS WINTER: Boris, denkst du, wenn wir Architektur, Soziologie und Design bereits in der Grundschule thematisieren, dass wir dann nicht mehr hier sitzen und diskutieren würden? Dass wir nicht mehr um unsere Position kämpfen oder uns rechtfertigen müssten?
BORIS GUSIC: Ich glaube, die Haltung wäre eine andere, ja. Das Verständnis für diesen Wirtschaftszweig wäre ein komplett anderes. Weil jeder wüsste, wie wichtig gewisse Sachen sind.
LISA OCHSENBEIN: Die Leute meinen schnell mal, dass Produktdesign simpel ist, weil jeder irgendwie einen Stuhl zusammenbauen kann. Ich persönlich wäre nicht am selben Ort ohne meine Ausbildung. Man meint oft etwas zu verstehen, aber wenn es um die aktive Umsetzung geht, zählen ganz andere Dinge. Das ist ein Kommunikationsproblem im Produktdesign. Wie verkauft man den Wert seines Wissens?
HOCHPARTERRE: Was sind das für konkrete Dinge, die man nur im Studium mitkriegt?
LISA OCHSENBEIN: Für mich sind Designprozesse wichtig, um sich mit Kunden oder mit Projektpartnern aus anderen Bereichen verständigen zu können. Das beinhaltet für mich auch das Erklären der geleisteten Arbeit. Erklären, was man wie und warum gemacht hat. Ich denke, das ist etwas, das mir schwerer fiele, hätte ich nicht studiert.
HOCHPARTERRE: Was hat euch während dem Studium geprägt, was habt ihr mitgenommen?
MIRIAM HUWYLER: Mich hat der Geist der Schule geprägt. An der Hochschule Luzern war das Studium handwerklich ausgerichtet. Noch heute arbeite ich so. Ich beginne analog und gehe spät ins Digitale über. Das ist ein Wert, den ich mittrage. Aber wirklich so zu arbeiten, wie uns in der Ausbildung vermittelt wurde, ist in der Realität nicht möglich.
DIMITRI BÄHLER: Ich habe während dem Studium vor allem ausprobiert. Ich habe mir keine Sorgen gemacht, was dabei rauskommt, sondern drauflos experimentiert. Denn ich wollte die unterschiedlichsten Techniken anwenden und so kennenlernen. Während der Ausbildung umgibt dich eine kreative, inspirierende Atmosphäre. Im Arbeitsleben muss man sich diese selbst erarbeiten. Das ist nicht immer einfach.
ALEXANDER BARINA: Bei mir hat sich ein Entwurfsmodell eingenistet, das sich nach Konrad Wachsmann «Rotationsprinzip» nennt. Das geht so: Mehrere Leute machen beispielsweise je einen städtebaulichen Entwurf. Dann wird getauscht und man arbeitet am Entwurf des anderen weiter. Dann wird wieder getauscht. So musst du mit Entscheidungen weiterarbeiten, die jemand anderes getroffen hat. Das Gute daran ist, dass es die Beziehung zum eigenen Projekt freier und lockerer macht.
ANTHON ASTROM: Mich begleitet seit dem Studium das ständige Hinterfragen, die kritische Haltung. Die Diskussion ist mir wichtig. Es ist gut, wenn einen Leute und Projekte inspirieren, aber es braucht auch Reibung. Das wirkt vielleicht zunächst nicht so lustig, aber es ist sehr wichtig.
ANNA BLATTERT: Mir fehlt das kritische Hinterfragen an den Schulen. Die Studenten arbeiten ständig an einem Projekt und möchten es möglichst gut machen. Sie erlauben sich kein Ausscheren und kein Hinterfragen, sie experimentieren kaum. Politisches Gedankengut, globale Zusammenhänge und Ökologie haben mir im Studium gefehlt.
HOCHPARTERRE: Bildet ihr euch seit dem Abschluss weiter?
ANTHON ASTROM: Meine beste Schule nach der Schule ist das Unterrichten. Mit Studenten umgehen. Das ist so etwas von cool. Das ist Zusammenarbeit und bildet weiter.
ANNA BLATTERT: Ich muss informiert sein, wenn ich auf die Studenten losgehe, gerade, wenn ich Theorievorlesungen halte. Das heisst, ich muss mich weiterbilden, damit ich dozieren kann. Wir arbeiten in einem Feld, das sich ständig wandelt. Da gibt es stets neue Strömungen, Themen und Produkte, über die man Bescheid wissen muss.
HOCHPARTERRE: Auch andere unter euch unterrichten bereits. Macht ihr es anders als ihr selber erfahren habt?
BORIS GUSIC: Ja, ich gehe anders mit den Studenten um. Was ich nie mochte, waren Dozenten, die das Gefühl vermittelten, sie wüssten wie etwas geht, aber der Student muss es selber herausfinden. Das sind schlechte Lehrer. So vermittelt man nichts! Es geht darum, etwas zu geben. Den Studenten Mut machen, etwas auszuprobieren, ihnen das Risiko in die Hand zu legen, sagen ‹mach einfach, probiere es›. Mir hat während dem Studium auch der Bezug zum Material gefehlt. Das ist heute an der ETH, wo ich als Assistent von Tom Emerson arbeite, anders. Zum Beispiel bauen wir mit den Studenten meist temporäre Pavillons eins zu eins. Da fangen sie an zu verstehen, was es heisst, einen Strich zu ziehen. Oder zwei Striche mit so und so viel Abstand. Die bauen! Die Studenten selbst bauen diese Pavillons. Gross und echt. Nicht nur alles Modell.
MATYLDA KRZYKOWSKI: Umsetzung!
BORIS GUSIC: Umsetzung ohne Handwerker sein zu müssen. Es geht ja nicht darum, dass die Studierenden noch Holz sägen können. Aber es geht darum, dass sie wissen, was für eine Konsequenz ihr Mausklick oder ihr Strich hat.
LEBENSENTWURF
Die junge Generation von Gestalterinnen und Gestaltern ist mobil und flexibel. Sie arbeitet dezentral und multimedial. Die Kreativbranche ist aber kein Ponyhof – vor allem nicht, wenn es um die soziale und finanzielle Sicherheit geht.
HOCHPARTERRE: Maria, du beschäftigst dich derzeit mit einem ganz anderen Thema. Du überlegst dir, deinen Designjob aufzugeben, um Hebamme zu werden. Warum?
MARIA TRENKEL: Ich lebe von Monat zu Monat. Ich kellnere in Pop-up-Restaurants, arbeite in der Kunsthalle, dann wieder Vollzeit als Grafikerin. Logisch entwerfe ich gerne ein schönes Plakat oder gestalte ein Buch. Aber gleichzeitig ist diese Branche extrem anstrengend. Sicherheit hat man kaum. Ich arbeite oft bist spät in die Nacht hinein und an Wochenenden und frage mich schon manchmal, wofür ich das mache.
ALEKSANDRA GUSIC: Erkennst du den Sinn im Kreativen nicht mehr?
MARIA TRENKEL: Ich suche nach einem Ausgleich. Ich möchte neben meiner Tätigkeit in der Gestaltung etwas Sinnvolles machen. Nach einem langen Gespräch mit meiner Schwester, machte ich auf einer Berufsberatungsseite einen Online-Test. Das Testresultat war zu meinem Erstaunen Hebamme. Bevor ich Grafikerin werden wollte, war Hebamme mein Traumberuf.
MATYLDA KRZYKOWSKI: Eigentlich wusstest du immer, was du werden wolltest und dann wurdest du, wie viele von uns, geblendet von den ganzen Kreativberufen. Geblendet, weil uns in der Ausbildung die Realität dieser Berufe nicht vermittelt wurde.
HOCHPARTERRE: Maria sagt, sie möchte neben der Gestaltung auch etwas Sinnvolles machen. Ist Architektur sinnvoll?
MATTHIAS WINTER: Vielleicht ist es in der Architektur einfacher einen Sinn zu erkennen, weil in der Regel gebaut wird, wenn es notwendig erscheint. Wir entscheiden nicht darüber.
HOCHPARTERRE: Ist Produktdesign sinnstiftend?
LISA OCHSENBEIN: Im Produktdesign macht es einen Unterschied, ob man im Angestelltenverhältnis arbeitet oder ob man freiberuflich tätig ist. Als Angestellte kann man durchaus nach dem Sinn fragen, weil man hauptsächlich ausführt, worüber andere entscheiden. Als Selbstständige initiiere ich eigene Projekte, die mir dringlich erscheinen.
HOCHPARTERRE: In anderen Worten: Selbstständige sind glücklich, Angestellte sind unglücklich?
ALEKSANDRA GUSIC: Nein. Selbstständiges Arbeiten kann zu weit gehen, sodass du es nicht mehr kontrollieren kannst. Dann kostet der Erfolg. Das ist die andere Seite der Medaille. Im Angestelltenverhältnis kannst du es kontrollieren. In der Regel arbeitest du tagsüber deine Stunden ab, hast die Wochenenden frei und kriegst pro Monat so und so viel. Das ist Sicherheit.
SARAH KÜNG: Das sind meines Erachtens zwei unterschiedliche Dinge. Das eine ist die finanzielle Sicherheit und das andere ist die Sinnfrage. Als selbstständig Erwerbende beantworte ich die Sinnfrage, indem ich mehr Verantwortung für das übernehme, was ich tue. Denn ich generiere ja Jobs. Wie vergebe ich die Jobs? Wen wähle ich aus, wo lasse ich Preise drücken? Mit solchen Verhandlungsgeschichten übernimmt man Verantwortung.
BORIS GUSIC: Die Frage nach dem Sinn hat auch mit der ‹Work-Life-Balance› zu tun. In unseren Berufen wird ‹Work› oft zu ‹Life›. Die Bereiche verschmelzen. Wo die Grenzen sind, entscheidet jeder selber.
MATTHIAS WINTER: Aber du weisst schon, dass du das nicht immer kontrollieren kannst?
BORIS GUSIC: Du musst dich darauf einlassen. Im Grunde sollten wir das am besten beherrschen von allen. Besser als ein Banker, besser als ein Winzer, weil wir wissen, wie man Sachen entwirft. Denn im Grunde ist das ganze Leben ein Entwurf.
HOCHPARTERRE: Camilla, anders als die meisten an diesem Tisch hast du eine Festanstellung. Als Assistentin des Kreativdirektors des St. Galler Stickerei-Unternehmens Forster Rohner bist du hundert Prozent angestellt. Engt dich das nicht ein?
CAMILLA BERNBACH: Überhaupt nicht. Im Gegenteil. Vor rund einem Jahr habe ich meinen Job beim Londoner Modedesigner Jonathan Saunders gekündigt. Ich war dort als Textildesignerin tätig. Nach meiner Kündigung wollte ich zunächst freischaffend für verschiedene Modehäuser arbeiten. Aber dann kam das Angebot von Forster Rohner aus St. Gallen. Ich habe zugesagt und bin von London in die Ostschweiz gezogen, was ich mir niemals hätte vorstellen können. Weil ich nun für ein traditionsreiches Stickerei-Unternehmen Stoffe entwerfe, habe ich Kontakt zu den unterschiedlichsten Kunden. Es geht um das Handwerk, um das Kreieren von Stoffen. Ich bin ganz nahe am Produkt und ein paar Schritte weg von der Mode. Ich bin unabhängiger, offener und freier. Um zu sehen, was aus unseren Stoffen gemacht wird, muss ich in die Welt hinaus. Meine Festanstellung erlaubt mir, regelmässig nach London zu reisen und die Stadt richtig zu geniessen.
HOCHPARTERRE: Weil du vorausplanen und die Reise finanzieren kannst?
CAMILLA BERNBACH: Ja. Ich habe viel mehr Freiheit dadurch, dass ich festangestellt bin. Das ist irgendwie paradox. Aber vielleicht fühle ich mich jetzt auch freier, weil ich nicht mehr die Sprache dieses einen Modedesigners sprechen muss, sondern mich auf die unterschiedlichsten Kunden einlassen darf. Ich musste aber zuerst wieder meine eigene Handschrift finden.
HOCHPARTERRE: Wie machst du das?
CAMILLA BERNBACH: Ich zeichne. Das ist die einfachste Methode.
HOCHPARTERRE: Weshalb hast du in London gekündigt?
CAMILLA BERNBACH: Ich habe nur noch gearbeitet. Der kreative Prozess, das Entwickeln von neuen Kreationen nahm stetig ab und die administrativen Aufgaben nahmen hingegen zu. Mein Interesse gilt dem Neuen und nicht Excel-Tabellen. Wenn ich nachts um drei mit dem Fahrrad nach Hause fuhr, fragte ich mich, wieso ich das bloss mache? Die emotionale Wertschätzung war vorhanden, absolut. Aber die finanzielle gestaltete sich schwierig.
WERTSCHÄTZUNG
Designer fühlen sich von der Gesellschaft weniger wertgeschätzt als Architekten. Denn einem grossen Teil der Gesellschaft ist nicht klar, was die Rolle eines Designers überhaupt beinhaltet.
HOCHPARTERRE: Matylda, das Depot Basel thematisiert in Ausstellungen die Arbeit des Designers. Weshalb erscheint euch das wichtig?
MATYLDA KRZYKOWSKI: Wir wollen das Thema Gestaltung ausserhalb des Showrooms, ausserhalb der Galerie, der Messe und des Museums zeigen, weil Design Alltag und Kultur und nicht nur ein Produkt für den Markt ist. Ich glaube nämlich, wir kreieren in dieser Branche vor uns hin und warten darauf, dass der Markt auf uns zurückgreift und Kunden auf uns aufmerksam werden.
HOCHPARTERRE: Als Architekten entwerft ihr keine Produkte, sondern ihr werdet angefragt und bekommt Aufträge.
BORIS GUSIC: Ja. Als Architekt hat man mit viel Verantwortung zu tun. Oftmals geht es um den Bau eines Hauses, für das eine Familie ein Leben lang gespart hat. Da geht man schon mehr oder weniger mit Schicksalen um. Also ähnlich wie die Hebamme! In der Architektur geht es in erster Linie um Vertrauen.
HOCHPARTERRE: Vertrauen fällt nicht vom Himmel. Investierst du deshalb in deinen eigenen Referenzbau?
BORIS GUSIC: Genau. Ich habe für wenig Geld im Tessin ein Haus gekauft. Ich baue es nun selbstständig aus. In erster Linie hat es mit Vertrauen mir selber gegenüber zu tun. Vielleicht schenken mir aber auch künftige Kunden eher ihr Vertrauen, wenn sie sehen, ‹okay, er hat selbst gebaut, mit dem baue ich mein Haus›.
MATTHIAS WINTER: Das ist aber nur die eine Seite. Wenn man Architekturwettbewerbe macht, ist man vom Markt voll abhängig. Architekten mit gutem Ruf können es sich leisten, Entwürfe einzureichen, die den eigenen Idealen entsprechen, die ein Versuch sind, zu überraschen. Die können entwerfen, wie sie es für richtig und wichtig halten. Bei allen anderen kommt irgendwann der Moment, wo sie sich fragen, ob sie bereit sind, Abstriche zu machen, weil die ‹Work-Life-Balance› nicht mehr stimmt. Wenn du Wettbewerbe machst, wirst du irgendwann abhängig von den Resultaten.
BORIS GUSIC: Man kann Wettbewerbe so gestalten, dass man sie gewinnt. Ich habe mehrere Büros miterlebt, die so funktionieren. Die machen nicht unbedingt, was sie machen wollen, sondern was ihr Büro ernährt. Hier taucht die Frage auf: Business oder Ideologie? Oder anders ausgedrückt: Mache ich das, was ich für richtig halte oder arbeite ich für den Markt?
MATTHIAS WINTER: Es stellt sich auch die Frage, wie viel Wert der Beruf noch hat, wenn du nur für den Markt arbeitest. Da spielen oft Dinge mit, die nicht immer mit Architektur zu tun haben. Das zu wissen, das finde ich ziemlich crazy.
HOCHPARTERRE: Was für Dinge sind das?
MATTHIAS WINTER: Architekten müssten mit ihren Entwürfen mehr Verantwortung übernehmen. Viele Architekten resignieren und springen lieber auf den fahrenden Zug auf anstatt kritisch zu sein und echte Vorschläge zu machen. Anstatt gegen den schwindenden Einfluss unseres Berufs zu kämpfen, geben wir freiwillig jegliche Kompetenzen ab.
MATYLDA KRZYKOWSKI: Wenn du als selbstständiger Designer an einem Wettbewerb teilnimmst, bezahlst du mit deiner eigenen Zeit, mit deiner Energie und deinen Idealen. In der Branche fehlt eine Sensibilisierung dafür. Man sollte sich wirklich mal überlegen, diese ganzen Firmen mit ihren offenen Wettbewerben über den Zustand der Designbranche aufzuklären. Hinzu kommt, dass man sowieso nicht nachvollziehen kann, weshalb dieses und nicht jenes Design gewonnen hat, weil in irgendeiner Marketingabteilung irgendjemand die Eingaben sichtet und sagt ‹Dieses Projekt gewinnt›.
BORIS GUSIC: Architekturwettbewerbe werden oft von der öffentlichen Hand organisiert, um eine gewisse Qualität zu gewährleisten. Der Entscheid einer Jury muss nachvollziehbar sein. Die Frage ist doch, an welchen Kriterien sich die Jury orientiert. Fakt ist: mit Wettbewerben wird extrem viel Geld und noch mehr Arbeit verbraten. Aber es ist wichtig, dass es sie gibt.
LISA OCHSENBEIN: Das zeigt zwei Unterschiede zwischen Produktdesign und Architektur auf. Gewinnst du in der Architektur einen Wettbewerb, bist du dank des erteilten Auftrags für eine gewisse Zeit finanziell abgesichert. Du erfährst von der Gesellschaft Wertschätzung, weil sich die Arbeit im öffentlichen Raum abspielt und weil sie oft eine politische Dimension hat. Der Aufwand hat sich also gelohnt. Im Produktdesign ist das Preisgeld bescheiden und das Ganze spielt sich eher in der Privatwirtschaft ab. Das Interesse der allgemeinen Öffentlichkeit an Design ist eher gering.
HOCHPARTERRE: Fühlen sich Designer deswegen weniger wertgeschätzt als Architekten?
LISA OCHSENBEIN: Das ist auf jeden Fall ein Thema. Insbesondere, wenn es um die Gestaltung von urbanen Räumen geht. Hier führen vor allem Architekten und Stadtplaner den Diskurs und fällen Entscheidungen. Design hat nicht denselben Stellenwert, was ich schade finde. Als Produktdesignerin muss ich immer kämpfen, dass ich für meine Leistung auch Anerkennung bekomme.
HOCHPARTERRE: Sarah, ihr gestaltet bei Kueng Caputo Schalen, das Innenleben von Bars und Regale zum Selberbauen. Wird Design von der Gesellschaft genug ernst genommen?
SARAH KÜNG: Wir können nicht erwarten, dass alle wissen, was die Aufgaben einer Designerin oder eines Designers sind. Das heisst, wir müssen das zuerst mal erklären. Nicht nur dem Kunden, sondern auch den Leuten, die bei der Umsetzung mitwirken. Wir müssen sie heranführen und Vertrauen aufbauen und ihnen aufzeigen, was unser Aufgabenbereich ist. Wenn ich mit Leuten arbeite, die noch nie mit Designern gearbeitet haben, was bei uns oft geschieht, dann reden wir zuerst viel miteinander. Wir erklären, was unser Beruf beinhaltet und welche Aufgaben die anderen Beteiligten an uns abgeben können. Ich erkläre jeweils, dass wir diese Schnittstelle sind, wo die Fäden zusammenlaufen und dass sie sich ruhig um ihren Aufgabenbereich kümmern können. Das sind interessante Gespräche, weil wir merken, dass die Leute das so nicht kennen.
HOCHPARTERRE: Ist dem so, weil Design im Vergleich zur Architektur eine junge Disziplin ist oder weil grundsätzlich nicht klar ist was ein Designer macht?
LISA OCHSENBEIN: Letzteres.
MATYLDA KRZYKOWSKI: Ja, Letzteres.
ANTHON ASTROM: Ich frage mich grad, was sich die Leute in der Corporate-Welt eigentlich unter Design vorstellen?
SARAH KÜNG: Die wissen gar nicht genau, warum wir beigezogen werden. Die sagen sich ‹ich brauche eine Küche und gehe deshalb zum Küchenbauer›. Dann kommen plötzlich wir mit einem Plan und Entwürfen und teilen denen mit, dass sie künftig nicht mehr mit dem Küchenbauer reden müssen.
MATTHIAS WINTER: Viele Leute haben das Gefühl sie können bei allem mitreden, sie seien Experten. Vielleicht müssen Designer deswegen stets um ihre Expertenrolle kämpfen.
SARAH KÜNG: Es gibt schon einen Unterschied zwischen Fachleuten und Laien. Nur ein guter Geschmack oder ein wenig Know-how macht dich noch nicht zur Designerin. Design geht viel weiter als nur schöne Dinge zu entwerfen. Ich muss sie Realität werden lassen. Ich muss vermitteln können, warum sie Sinn machen. Der Designbereich ist eine fragile Angelegenheit. Du darfst es nicht als Kritik auffassen, wenn jemand dir anfangs keine Kompetenz attestiert.
ANTHON ASTROM: Die Rollen, die ein Designer übernimmt, können unterschiedlich ausfallen. Ich merke oft, dass die Leute keine Vorstellung von dem haben, was ein Designer leistet. Sie wissen irgendwie ‹okay, da kommt jemand und löst das, der baut mir eine Küche oder gestaltet meine Website›. Wie aber die Kommunikation dabei läuft, ist völlig offen.
HOCHPARTERRE: Was leistet der Designer denn für einen Mehrwert?
MATYLDA KRZYKOWSKI: Der Designer spricht Dinge an, die vom Küchenbauer nicht erwartet werden. Soziologie, Psychologie, Farbenlehre etwa. Was spricht an, was funktioniert, wie verhält sich der Mensch?
LISA OCHSENBEIN: Der Designer ist ein Experte an der Schnittstelle, an der alles zusammenkommt. Er schafft Verbindungen zwischen den Disziplinen, er schafft auch neue Verbindungen, die vorher nicht existierten. Diese Leistung versucht er als Designer zu verkaufen. Ich musste lernen, dass die Kommunikation von meiner Seite ausgehen muss. Sonst wird diese Expertenrolle nicht verstanden.
ANTHON ASTROM: Häuser wurden gebaut, noch bevor es den Beruf des Architekten gab. Früher war es der Handwerker, der Produkte designte. Der Designer ist etwas dazwischen und die Frage ist, ob es ihn überhaupt braucht? Ist er Kommunikator, Vermittler?
MATTHIAS WINTER: Ich glaube, es ist nicht nur Kommunikation. Ich glaube, es geht darum, die einzelnen Komponenten eines Projekts in einen höheren Zusammenhang zu bringen, damit ein grosses Gesamtes geschaffen werden kann.
ARBEITSWEISE
Oft meint man, dass Freiberuflern in der Gestaltung ihres Arbeitsalltags keine Grenzen gesetzt sind. Doch es ist gerade das Aufbauen von Strukturen sowie Befolgen von Regeln, das selbstständig Erwerbenden Freiheiten gewährt.
HOCHPARTERRE: Die meisten an diesem Tisch sind selbständig. Wie strukturiert ihr euren Arbeitsalltag?
DIMITRI BÄHLER: Ich habe keine fixen Arbeitszeiten. Ich arbeite immer. Manchmal stehe ich um sieben auf und radle direkt ins Atelier. Dann arbeite ich an einem Entwurf, habe vielleicht einen Skype-Termin, esse mit meinem Vater Risotto, treffe danach eine Schneiderin und schreibe Rechnungen. Jeder Tag ist anders. Das ist zwar ein ziemlich cooler Arbeitsalltag, aber manchmal ist so viel Flexibilität auch belastend.
SARAH KÜNG: Meine Geschäftspartnerin Lovis Caputo und ich mussten irgendwann klare Regeln aufstellen. Wir sind da beide strikt. Da gibt es keine fünf Minuten Verspätung, dafür ist am Abend irgendwann Schluss. Jeden Montagmorgen haben wir eine Sitzung. Neulich sass ich um acht alleine da, einfach, damit ich meine Wochenstruktur beibehalte. Dank dieser Struktur haben wir eine gewisse Freiheit.
ANTHON ASTROM: Musstest du das lernen oder warst du schon immer so?
SARAH KÜNG: Das haben wir zusammen erlernt, nachdem wir anfingen Tag und Nacht zu arbeiten. Das war supertoll, das ist ja auch so eine Energie, aber wir merkten irgendwann, dass wir auch gerne mal jemand anderes sehen als nur immer die Geschäftspartnerin.
HOCHPARTERRE: Wann habt ihr gemerkt, dass ihr eine Struktur aufbauen müsst?
SARAH KÜNG: Die ersten Anzeichen dafür waren die Anfragen, die von aussen kamen. Kunden, die Produkte kaufen, Medien, die über dich berichten, Produzenten, die zusammenarbeiten möchten. Da merkten wir rasch, dass wir uns organisieren müssen, um professionell auf diese Anfragen reagieren zu können. Also zu wissen, wer was beantwortet und wer für welchen Bereich zuständig ist.
HOCHPARTERRE: Aleksandra und Boris, ihr seid vor bald einem Jahr Eltern geworden. Wenn man unabhängig ist, kann die Kreativwirtschaft ein Spielplatz sein. Aufträge hier, Projekte dort, alles freiberuflich. Wie schaut’s aus, wenn ein Kind da ist?
BORIS GUSIC: Es ist ein zusätzliches Projekt, ein Lebensprojekt. Seit wir Eltern sind, haben wir einen gemeinsamen Kalender, weil wir unsere Arbeitstage genau absprechen müssen. Es ist schon so, dass der Druck auf ein Fixum wächst.
ALEKSANDRA GUSIC: Für die Zukunft wünsche ich mir mehr Stabilität. Ich brauche eine Basis, die sich nicht bewegt. Als ich schwanger war, hatte ich verschiedene Projekte und eine Teilzeitstelle in einem Designgeschäft. Sobald unser Sohn alt genug für die Krippe ist, werde ich eine Festanstellung suchen. Ich glaube, so finde ich langsam wieder ins geregelte Arbeitsleben zurück.
HOCHPARTERRE: Wie und wo arbeitet ihr?
DIMITRI BÄHLER: Ich arbeite immer und überall. Im Zug nach Zürich habe ich gearbeitet, auf dem Weg vom Bahnhof hierher meine Mails gecheckt. Wenn du selbstständig bist, ist das super. Du kannst um zehn oder elf vormittags anfangen, wann auch immer, dann arbeitest du einfach am Abend länger.
HOCHPARTERRE: Du brauchst also keinen fixen Ort zum Arbeiten?
DIMITRI BÄHLER: Nein. Ich habe zwar ein Atelier, aber ich bin nicht oft dort. Ich fahre ständig rum. Termine, Ausstellungen, Workshops. Die finden überall statt. Manchmal fällt es mir schwer, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Es geht alles so schnell.
HOCHPARTERRE: Ist jemand von euch arbeitstechnisch an einen Ort gebunden?
MATYLDA KRZYKOWSKI: Die Frage nach dem Arbeitsort kann ich erst beantworten, wenn definiert ist, was Arbeit genau bedeutet. Wir sind Eigenbrötler und arbeiten alles selber ab. Heute braucht man einen Avatar schon nur um seine E-Mails zu beantworten. Mein Tag ist gelaufen, wenn ich mit E-Mails und Administrativem beginne.
SARAH KÜNG: Wir haben definiert, was als strikte Arbeitszeit gilt. Meine Lieblingsarbeitszeit ist die, in der wir die Handys abstellen. Das machen wir an einem Tag in der Woche. Wir machen beide den ganzen Tag nichts ab, auch am Abend nicht. Es wird konzentriert gearbeitet. Nichts Privates geschwatzt. Einfach nur arbeiten. Das schätze ich extrem. Aber um das zu realisieren, müssen wir planen.
MATYLDA KRZYKOWSKI: Das ist interessant, diese Kontroverse zwischen Dimitris und Sarahs Arbeitsweisen. Dimitri arbeitet immer und überall und beschäftigt sich permanent mit den unterschiedlichen Rollen als Designer. Sarah hat nach drei Jahren Selbstständigkeit gemerkt, dass sie Grenzen ziehen muss, damit sie überhaupt effiziente Arbeit leisten kann.
DIMITRI BÄHLER: Ich kann schon konzentriert arbeiten. Im Rahmen von Atelierstipendien etwa. 2013 durfte ich am Europees Keramisch werkcentrum EKWC in den Niederlanden vier Monate arbeiten. Das war eine bereichernde Erfahrung. Daheim in Biel im Atelier ist es schwierig. Kommen spontan Freunde vorbei, ist das total nett, aber manchmal passt es einfach nicht. Ich finde es nicht immer einfach, meinen Alltag zu organisieren.
MATYLDA KRZYKOWSKI: Im ‹Depot Basel› ist es nach wie vor eine Herausforderung unseren Arbeitsalltag zu strukturieren. Ich bin zu sehr in das andere System reingefallen: am Flughafen noch schnell E-Mails schreiben, noch ein Skype-Gespräch, noch dies, noch das.
MATTHIAS WINTER: Wird man nicht auch unproduktiv, wenn man ständig arbeitet?
MATYLDA KRZYKOWSKI: Ja, das ist es ja. Das mit der endlosen Arbeit ist ein Problem unserer Generation. Das sehe ich auch bei vielen Studenten, mit denen ich arbeite. Dass sie nicht in der Lage sind, sich auf etwas zu konzentrieren, weil sie die ganze Zeit ‹online› sind.
BORIS GUSIC: Thema Fokusmoment. Den muss man sich echt einteilen. Wie Sarah das macht. Bei mir ist es von sechs bis neun in der Früh und abends ab zehn. Mein Handy ist zwar nicht aus, aber in diesen Zeitfenstern ruft dich sowieso niemand an. Tagsüber bin ich mit Anfragen und Abarbeiten beschäftigt. Die Produktion, das Zeichnen und Entwerfen, das findet in diesen Randzeiten statt.
LISA OCHSENBEIN: Ich schliesse mich Boris an. Ich arbeite in einem Gemeinschaftsbüro, da hat’s auch zwei selbstständige Grafiker, die ich irgendwie beneide. Die sind jeden Tag zwischen neun und halb sechs da. Dann gehen sie. Ich krieg das nicht hin. Deshalb arbeite ich oft in die Nacht hinein. Nachts weiss ich, dass niemand anruft, dann kann ich das Handy auch weglegen. Tagsüber schaff ich das nicht.
SARAH KÜNG: Ja, aber das kannst du nur, wenn du im europäischen Zeitraum arbeitest. Wir arbeiten international und das Telefon kann jederzeit klingeln. Darum musst du selber bestimmen, wie du deine Zeit einteilst.
HOCHPARTERRE: Wie haltet ihr Abgabetermine ein, wenn ihr so verzettelt arbeitet?
BORIS GUSIC: Die Deadline gibt den Takt an. Kommt sie näher, verschieben sich die Prioritäten. Dann ist das Projekt auch während des Mittagessens dabei.
HOCHPARTERRE: Und die, die hundert Prozent angestellt sind: wie teilt ihr euch eure Zeit ein?
CAMILLA BERNBACH: London war ‹open end›. Du arbeitest, bis es fertig ist. In St. Gallen ist es angenehmer, weil die Arbeitszeit von acht bis fünf ist. Ab fünf habe ich noch viel Zeit, um zu zeichnen und neue Sachen auszuprobieren, ohne, dass ich dafür bis spät in die Nacht arbeiten muss.
HOCHPARTERRE: Wie ist es bei dir, Matthias?
MATTHIAS WINTER: Ich arbeite in der Regel normal bis kurz vor einer Abgabe. Ich mache ja nur Wettbewerbe. Kurz vor der Deadline schlafe ich auch nicht so viel, aber das ist ganz okay, weil ich nach der Abgabe kompensiere. Das fühlt sich dann an wie Ferien. Ich mache das direkt nach einer intensiven Phase. So gleicht sich das schön aus. Momentan stimmt das für mich. Ob ich aber immer so arbeiten möchte, weiss ich nicht.
HOCHPARTERRE: Wie pflegt ihr Beziehungen zu Produzenten und Handwerkern?
SARAH KÜNG: Mir ist es viel wert, dass diese Beziehungen entstehen. Anfangs dauert es bis wir die Sprache des anderen verstehen, aber es lohnt sich, darin zu investieren. Wenn das Vertrauen da ist, rufst du an und sagst keinen ganzen Satz und der andere weiss genau, was du meinst. Das ist das Effizienteste, was es gibt. Wir haben vor einer Weile einen Steinbruch in Carrara besucht. Wir waren nur einen halben Tag da und nach unserem Besuch ruft der Geschäftsführer an und sagt: ‹Schade, seid ihr schon gegangen, nun wisst ihr nicht genau, was wir für euch tun›. Das ist Wertschätzung. Man muss sich die Zeit nehmen für diese Beziehungen, unbedingt. Sonst gibt es nichts Neues.
MATYLDA KRZYKOWSKI: Diese Aussage würde ich gern für unsere neue Ausstellung benutzen: Dem Gestalter ist es ein Bedürfnis, langfristige Beziehungen aufzubauen. Das ist manchen Firmen gar nicht bewusst.
BORIS GUSIC: Als Gestalter müssen wir den Produktionsprozess vermitteln, sei das in der Architektur oder im Design. Wenn man etwas besitzt, von dem man nicht weiss, woher es stammt, dann ist es egal, wenn es kaputt geht. Ohne diesen Hintergrund kann keine Beziehung zum Objekt entstehen. Wir müssen daran arbeiten, dass sich die Haltung gegenüber Produkten und Gebäuden verändert, sodass man ihnen mehr Wertschätzung entgegenbringt.
MATTHIAS WINTER: Denkst du, dass das eine Luxusfrage ist?
BORIS GUSIC: Nein, das hat nichts mit Luxus zu tun, weil es hier um Nachhaltigkeit geht. Im Zuge der Industrialisierung wurden viele kleine Arbeitsschritte wegrationalisiert. Es existiert kein Bewusstsein mehr dafür, dass bei der Entstehung eines Produktes zig Leute und Kompetenzen am Werk sind.
FREMDBILD
Die meisten sind stolz, dass sie eigene Projekte initiieren und damit den Lebensunterhalt verdienen. Doch nicht alle erklären Aussenstehende gerne, wie sie arbeiten und ihren Beruf verstehen.
HOCHPARTERRE: Wie erklärt ihr Aussenstehenden eure Arbeit, euren Lebensentwurf?
BORIS GUSIC: Ich finde es lustig. Besonders bei den Bankangestellten. Ich kenne viele Leute aus der Finanzwelt und ich habe bis jetzt fast nur von ihren Ängsten gehört. Im Bezug auf die Familiengründung etwa. Sie verdienen gute 10.000 Franken pro Monat, zweifeln aber daran, ob sie eine Familie ernähren können. Bei uns Freiberuflern ist das anders, weil wir uns gewohnt sind, dass nicht jeden Monat gleich viel reinkommt. Wir gestalten unser Leben ohnehin flexibel. Deshalb bringt ein Kind auch nicht so viel Unruhe rein.
MATYLDA KRZYKOWSKI: Ich finde es immer witzig, wenn Leute meinen Freund und mich fragen, was wir beruflich machen. Er ist Designer und entwirft Schuhe. Die Leute finden das spannend, weil es ein greifbarer Job ist. Wenn ich erzähle, dass ich Designerin und Kuratorin bin, dann schweifen sie gleich wieder zu meinem Freund und sagen ‹Ich mag den Nike Airmax total, du?› Es interessiert sie nicht, was ich gesagt habe, weil es nicht greifbar ist. Der Schuhentwurf ist viel konkreter und die Leute können sich damit identifizieren.
MATTHIAS WINTER: Das nervt deinen Freund bestimmt. Schon wieder der Airmax!
MATYLDA KRZYKOWSKI: Nein, der findet das amüsant. Schliesslich erfährt er dadurch Bestätigung. Er hat sich für diesen Beruf entschlossen, weil er das Gefühl hat, es wird auf der Welt immer eine Nachfrage für Schuhe geben.
HOCHPARTERRE: Lisa, wie erklärst du Aussenstehenden, woran du gerade arbeitest? Du bist ja auch ständig mit diversen Projekten beschäftigt.
LISA OCHSENBEIN: Ich wähle je nach Situation und Gegenüber aus, welches Projekt ich in den Vordergrund stelle. Der Einfachheit halber.
ALEKSANDRA GUSIC: Wenn ich sage, ich sei ein Theatermensch, dann meinen die Leute, ich sei Schauspielerin. Wenn ich dann erkläre, ich sei Regisseurin und mache nebenbei noch Projekte in der Szenografie, reagieren sie fasziniert.
MATYLDA KRZYKOWSKI: Man verunsichert die Leute, wenn man sagt, man sei Designerin. Da sind so viele Fragen im Kopf des Gegenübers. Der fragt sich doch, ob für Mode oder sonst was und je nachdem wie ich angezogen bin, werde ich als Textildesignerin wahrgenommen. Der Begriff ist nicht fassbar.
LISA OCHSENBEIN: Deswegen versuche ich möglichst schnell zu definieren, was ich mache, auch wenn ich nur einen Teil meiner Tätigkeit aufzeige.
MARIA TRENKEL: Das ist auch eine Generationenfrage. Die meisten Leute in meinem Umfeld haben mit den ähnlichen Themen zu kämpfen wie ich. Das Sich-Erklären ist immer wieder ein grosses Thema. Darüber tausche ich mich viel aus. Es ist nicht immer einfach, älteren Menschen zu erklären, wie ich meinen Lebensentwurf gestalte. Da ist es einfacher, wenn ich sage, dass ich in der Kunsthalle arbeite.
MATYLDA KRZYKOWSKI: Ältere Generationen denken beim Wort Projekt doch gleich, dass man keine richtige Arbeit hat. Man sei gezwungen auf Projektbasis zu arbeiten um an Geld zu kommen.
HOCHPARTERRE: Merkt ihr, dass da zwei Generationen aufeinandertreffen, wenn ihr mit Leuten über 50 sprecht oder zusammenarbeitet?
MARIA TRENKEL: Das merke ich extrem, wenn ich erzähle, wie ich mein Leben gestalte. Dann kommt stets als Kritik ‹wir mussten auch durchbeissen und Dinge tun, die wir nicht mochten›. An meinem Durchhaltewillen liegt es nicht. Unsere Generation hat so viele Möglichkeiten. Wir können nicht nur eine Ausbildung machen, sondern auch eine zweite und vielleicht noch eine dritte und mit Sechzig immer noch an die Universität, wenn wir das wollen. Diese Möglichkeiten gab es früher nicht oder zumindest viel weniger.
SARAH KÜNG: Ich staune vielmehr, wenn ich mit älteren Leuten zu tun habe: Was das für Freigeister sind! Die denken viel grösser als wir alle zusammen. Wir sind normiert worden, weil wir alle mit den Idealen einer Zeit aufgewachsen sind, die stark von Leistung geprägt ist: ‹Zeig Leistung, hab ein Ziel, wo ist deine Vision, gib sie mir›.
BORIS GUSIC: Die totale Pressure-Gesellschaft. Jeder, der nicht ein Superstudium, einen Superjob hat, entschuldigt sich für das, was er macht. Ich finde das krass bei unserer Generation. Wenn mir einer erzählt, dass er die Schreinerlehre absolviert, sagt er auch gleich, dass er schon noch eine Weiterbildung machen wird, da man sich sonst schuldig fühlt, nicht zu genügen.
SARAH KÜNG: Die ältere Generation hatte zwar weniger Möglichkeiten, dafür hatte sie dadurch viel mehr ihren eigenen Kopf und lange Stunden gefüllt mit Gesprächen über dieses und jenes. Die haben sich was ausgedacht. Mehr Diversität im Gedankengut irgendwie.
MATYLDA KRZYKOWSKI: Die ältere Generation hatte einfach noch Zeit, sich zu fokussieren. Die hat an einem Ort physisch miteinander zusammengearbeitet. Bei uns ist das schwammig geworden durch die Digitalisierung und die ganzen Möglichkeiten. Man muss ständig eine Wahl treffen. Da macht sich ein gewisser Erfolgsdruck bemerkbar.
GELD
Vielfach hört man bei der jungen Generation von Gestaltern den Satz «Ich verdiene zwar nicht viel, habe dafür voll den geilen Job.» Die Aussage mag zunächst plausibel klingen, doch beim genauen hinhören, stellt sich unweigerlich die Frage, ob man nicht beides beanspruchen dürfte: «voll den geilen Job» und eine anständige Bezahlung.
HOCHPARTERRE: Lisa, du hast dich gegen eine Vollzeitfestanstellung und somit gegen konstante finanzielle Mittel entschieden. Weshalb?
LISA OCHSENBEIN: Ich möchte momentan keine hundert-Prozent-Festanstellung, dafür Zeit für eigene Projekte. Zeit, um mir Gedanken zu machen und um mich zu entwickeln. Diese Entscheidung schliesst mit ein, dass ich weniger Geld verdiene.
HOCHPARTERRE: Camilla, du hattest in London zwar eine Festanstellung, aber finanziell sah es trotzdem schlecht aus und du hattest keine Freizeit. Egal wie man es organisiert, verdienen die jungen Gestalter einfach wenig?
CAMILLA BERNBACH: Ja, das ist so.
MATTHIAS WINTER: Ich bin hundert Prozent angestellt und verdiene pro Monat 4500 Franken brutto. Obwohl ich an der ETH studiert habe. Dies ist mein erstes, regelmässiges Einkommen seit Abschluss des Studiums. Momentan reicht das. Ich bin froh, dass ich einer Tätigkeit nachgehen kann, die mir wichtig ist und ich Zeit und Raum habe, mir Gedanken zu machen. Hätte ich Kinder, würde ich die Situation wohl anders bewerten.
HOCHPARTERRE: Ja, aber du könntest auch beides wollen: anständig bezahlt werden und Zeit haben.
MATTHIAS WINTER: Mir fehlt es an nichts.
HOCHPARTERRE: Seid ihr manchmal frustriert, weil ihr das Gefühl habt, eigentlich würde euch mehr zustehen?
BORIS GUSIC: Es wäre immer gut, besser bezahlt zu werden. Aber daran gewöhnt man sich halt schnell.
ANNA BLATTERT: Ich frage mich, ob wir uns zu schnell zufrieden geben, weil wir uns selber verwirklichen können. Für mich ist das jedoch kein Argument für eine schlechte Bezahlung. Ich kann mich auch als Bankerin oder als Anwältin verwirklichen und habe einen sehr guten Lohn.
MATTHIAS WINTER: Der Lohn orientiert sich ja auch an der Verantwortung, die man hat. Als angestellter Architekt entscheidet man nicht viel. Klar, wenn ich den Lohn mit meinen geleisteten Arbeitsstunden vergleiche, dann sieht’s schon schlecht aus. Aber wenn es um die Verantwortung geht, naja.
SARAH KÜNG: Wir müssen lernen, uns den Freiraum zu nehmen. Die Bezahlung ist als Freiberufliche vielleicht gerade okay, dafür kannst du einteilen, ob du eine ganze oder halbe Woche arbeitest und den Rest als freie Zeit gestaltest. Das ist eine Kunst, sich diese Freiheit zu nehmen. Das muss man lernen. Wir bilden keine Gewerkschaften. Das ist das Problem. Wir sind alles Individualisten. Freischaffende Eigenbrötler und Einzelgänger. Die anderen haben Gewerkschaften und da gibt’s Tarifverträge und so ist geregelt, dass kein Arbeitgeber unten reingehen darf.
ANNA BLATTERT: Es gibt ja eine Gewerkschaft für unsere Branche oder zumindest ein Berufsverband. Die Swiss Design Association. Da bin ich Vorstandsmitglied. Leider wird sie zu wenig genutzt, wobei man eine Veränderung spürt. Die Mitgliederzahl steigt seit einiger Zeit konstant an, insbesondere dank jungen Designern. Die Swiss Design Association bietet Schweizer Designschaffenden einen Rahmen, um gemeinsam aufzutreten und sich so mehr Gehör zu verschaffen.
HANDSCHRIFT
Eine Handschrift zu haben, ist jungen Gestaltern wichtig, dass ihr Name aber prominent jedes Gebäude und Produkt ziert, ist zweitrangig. Sie möchten an ihrer Arbeitsweise wiedererkannt werden.
HOCHPARTERRE: Wie wichtig ist euch Autorenschaft? Versucht ihr eine eigene Handschrift zu entwickeln?
MATTHIAS WINTER: Eine Handschrift ist gefährlich, weil sie Stillstand bedeutet. Du entwickelst dich nicht weiter. Und du schürst damit Erwartungen, was wiederum zu Druck führen kann. Man kann nicht mehr frei arbeiten.
HOCHPARTERRE: Das heisst, du hast keine Handschrift?
MATTHIAS WINTER: Nein – behaupte ich.
HOCHPARTERRE: Sarah hat eine wiedererkennbare Handschrift.
SARAH KÜNG: Schon nur unser Ansatz, unser Vorgehen, ist eine Handschrift. Wir suchen immer nach ähnlichen Abläufen. Wir kehren immer wieder zu den gleichen Themen zurück. Das erste Mal war das unangenehm. Wir hatten das Gefühl, nicht vorwärts zu kommen. Beim dritten Mal war es schon fast angenehm. Wir merkten, dass wir uns in einem Territorium bewegen, das uns wirklich interessiert. Das wir uns abstecken. Es ist schön, dass es da etwas gibt, das bei der Arbeit konstant bleibt.
HOCHPARTERRE: Kannst du Beispiele nennen?
SARAH KÜNG: Es ist eine Herangehensweise. Wir landen immer im Projekt ohne genau zu wissen, was wir vorhaben. Das ist eine Strategie, die alle verunsichert, die mit uns zusammenarbeiten. Wir ziehen uns alles rein, veranstalten ein Chaos und dann kommt dabei etwas für uns raus. Das sieht dann aber noch niemand. Wir erarbeiten etwas und die Leute rundherum haben keine Ahnung, was es werden soll. Wir brauchen diesen Prozess, sonst sind wir nicht auf dem richtigen Weg so. Das muss genau so sein.
ANTHON ASTROM: Der Prozess ist eure Handschrift?
SARAH KÜNG: Die Handschrift ist das Resultat dieses Prozesses.
HOCHPARTERRE: Im Textildesign ist Autorenschaft inexistent. Verwendet Saint Laurent einer deiner Stoffe, steht sein Name drauf, nicht deiner. Stört dich das?
CAMILLA BERNBACH: Nein. Das ist mir egal.
HOCHPARTERRE: Trotzdem hast du gesagt, dass du dich nach deiner Zeit in London wieder neu kennenlernen und deine eigene Handschrift wiederfinden musstest.
CAMILLA BERNBACH: Ich habe lange im Kopf eines anderen gelebt, weil ich für einen Modedesigner Stoffe entworfen habe. Ich habe unter seiner Autorenschaft und in seiner Handschrift entworfen. Das mache ich jetzt schon auch, aber ich bin bei einer Textilfirma, die seit hundert Jahren eine Handschrift hat und Stickereien herstellt. Ich bin in der Kreation freier, weil ich neue Sachen innerhalb dieser Tradition kreieren und die Leute und den Markt überraschen kann.
HOCHPARTERRE: Ist es sonst jemandem nicht wichtig, dass ein Produkt oder Gebäude prominent mit dem eigenen Namen gekennzeichnet ist?
BORIS GUSIC: Mir.
HOCHPARTERRE: Als Architekt?
BORIS GUSIC: Ja, auch als Architekt.
MATTHIAS WINTER: Ich schliesse mich Boris an. Ich finde die Person hinter Gebäuden nicht relevant.
SARAH ASSEEL: Mir ist es viel wichtiger, dass darüber gesprochen wird, wie ein Gebäude benutzt wird und wie es mit den Leuten interagiert, als dass die Leute wissen, dass dieser und jener Architekt es entworfen hat.
HOCHPARTERRE: Ihr habt Webseiten, Visitenkarten, Profile in unterschiedlichen Netzwerken, um den Markt auf eure Individualität aufmerksam zu machen und jetzt sagt ihr, Autorenschaft sei nicht wichtig. Das ist doch ein Widerspruch!
BORIS GUSIC: Es geht mir nicht darum, dass mein Name irgendwo gross steht. Mir geht es mehr um eine Haltung. Ein roter Faden, der von Projekt zu Projekt führt und irgendwann als Handschrift lesbar ist. Das muss nicht visuell, das kann auch inhaltlich sein. Architektur ist an den Ort gebunden, was es nochmals schwieriger macht, eine Handschrift zu entwickeln.
SARAH ASSEEL: Eine Handschrift kann auch eine Methode sein. Wenn Architekten und Stadtplaner aus einer Situation heraus einen Stil für ein jeweiliges Projekt entwickeln, profitiert die Stadt davon. Denn mit dieser Methode gehen die Planer auf die Eigenheit und Beschaffenheit der Stadt ein anstatt einfach ein Objekt hinzustellen, das irgendeinem Stil entspricht. Es würde Städten gut tun, wenn Architekten vermehrt so denken.
HOCHPARTERRE: Gibt es Projekte, die dir Hoffnung machen?
SARAH ASSEEL: Die Kalkbreite wenn es um den Wohnungsbau geht. Die Gesellschaft hat sich drastisch verändert, es gibt Alleinerziehende, Patchwork-Familien, Wohngemeinschaften. Der Wohnungsbau reagiert nicht darauf. Die Kalkbreite hat zeitgenössische Wohnformen den Bedürfnissen der Städter angepasst. Das finde ich cool.
HOCHPARTERRE: Zeichnet das eure Generation aus, dass Handschrift wichtiger als Autorenschaft ist?
CAMILLA BERNBACH: Ja, früher hatte man gerne einen Namen dabei. Heute existiert ein Bewusstsein dafür, dass hinter grossen Namen Teams arbeiten und nicht jemand alleine bastelt.
MATYLDA KRZYKOWSKI: Aber ich finde schon, dass dieser Drang nach Selbstverwirklichung stark ist im Moment. Auch medial. Gestalter werden zelebriert.
BORIS GUSIC: Aber vielleicht findest du hier einen Raum vor, der voll ist mit Leuten, die sich gegen das stellen.
MATYLDA KRZYKOWSKI: Das schliesse ich auch überhaupt nicht aus. Ich war eine Individualistin. Das war mitunter auch ein Grund, weshalb die Gründung vom Depot Basel so wichtig für mich war. Wir haben seit der Gründung kaum Projekte gemacht, auf denen unsere Namen explizit genannt wurden. Der Kollektivgedanke fasziniert mich.
HOCHPARTERRE: Mirjam, du arbeitest auch im Kollektiv. Weshalb?
MIRIAM HUWYLER: Gleich nach Abschluss des Studiums habe ich mit drei Kommilitoninnen das kollektiv vier gegründet, weil es befruchtend ist, wenn vier Köpfe an einem Entwurf feilen. Die gegenseitige Inspiration ist enorm, die Reflexion ist schnell und unser Netzwerk ist gross, weil gleich vier Textildesignerinnen einen Beitrag dazu leisten.
HOCHPARTERRE: Du zählst lauter Vorteile auf. Was sind die Nachteile von Teamarbeit?
MIRIAM HUWYLER: Man geht mehr Kompromisse ein, als wenn man alleine arbeitet. Da wir alles gemeinsam besprechen und entscheiden, dauern Entscheidungsprozesse oft länger. Es braucht auch viel Geduld, Empathie und Kommunikationsbereitschaft, um in einer Gruppe zu arbeiten. Aber diese Dinge sind keine Nachteile, sondern vielmehr Herausforderungen, von denen man viel lernt.
MATTHIAS WINTER: Wenn du Teil eines Ganzen bist, kannst du mehr leisten. In der Architektur beobachte ich, wie dieser kollektive Gedanke verloren geht. Ich meine, wir bauen keine Städte mehr. Weil niemand mehr fähig ist, ein Gebäude in eine Lücke zu bauen, dass es sich in ein grösseres Ganzes hineinfügt. Vielmehr werden Gebäude gebaut, die sich gegen aussen abgrenzen, sie wollen herausstechen und anders sein. Diese Repräsentation ist so absurd, dass wir eigentlich etwas dagegen tun müssten.
BORIS GUSIC: Bei den Pavillons, die wir an der ETH mit den Studenten bauen, geht es darum, gemeinsam etwas zu erarbeiten. Am Schluss weiss niemand mehr, wer welchen Strich gezogen hat. Es geht nicht um Autorenschaft, sondern um den Kollektivgedanken.
MATTHIAS WINTER: In der Architektur findet eine Vereinzelung und Privatisierung statt. Man kümmert sich nur noch um kleine Dinge und der Gedanke an das grössere Ganze geht vergessen. Früher stellte der Raum zwischen Gebäuden den öffentlichen Raum dar. Heute ist das eine Restfläche ohne übergeordneten Gedanken. Ohne Ausdruck von Gemeinschaft.
BORIS GUSIC: Ich finde es zu zurückhaltend, wie heute gebaut wird. Es wird zu sehr reduziert. In die Baulücke baut man den kleinsten gemeinsamen Nenner vom Haus links und rechts. Das hat uns die Moderne gelehrt. Das finde ich schade. Ich glaube, dass starke Formen nebeneinander stehen können.
MATTHIAS WINTER Das Guggenheim-Museum in Bilbao leistet weniger als eine Strasse in Paris. Wenn wir durch Paris laufen, denken wir nicht, ‹Ah, dieses Haus ist so gebaut und dieses ist so entstanden›. Es ist vielmehr ein Ausdruck einer Zeit, eine übergeordnete Idee, die sich offenbart. Der Architekt hat sich unterzuordnen, um etwas Grösseres zu leisten.
ALEXANDER BARINA: Städtebau und Architektur sind immer auch Ausdruck einer Gesellschaft. Ich denke, dass jede Generation einen grundsätzlichen Anspruch kultureller Identität an die Architektur stellen muss. Die Authentizität unserer Zeit darf nicht der Authentizität des Ortes geopfert werden. Alvaro Sizas städtebauliches Projekt für die IBA '87 in Berlin zeigt meisterlich wie man beides – kontextuelles Bewusstsein und individuellen Ausdruck – verbinden kann, ohne einer Stadt neue Regeln aufzuzwingen.
GEGENPOSITION
Kurz nach 17 Uhr endete das vierstündige Gespräch mit einem Zitat von Max Frisch. Die Snacks waren aufgegessen. Das Baby schlief in den Armen seines Vaters. Draussen brannte die Sonne noch immer. Zeit, das Wort an die noch jüngere Generation zu richten.
HOCHPARTERRE: Was möchtet ihr der jüngeren Generation sagen?
ANTHON ASTROM: Müssen wir uns jetzt schon entscheiden? Wir wissen doch gar nicht, wo wir sind!
BORIS GUSIC: Rastet nicht, ihr Jungen.
ALEKSANDRA GUSIC: Mutig sein und gute Arbeit leisten. Immer wieder Neues ausprobieren, nie aufgeben. Dabei auch Spass haben ist allerdings zentral.
LISA OCHSENBEIN: Nehmt das wichtig, was ihr macht!
DIMITRI BÄHLER: Nehmt euch Zeit. Ich finde es schade, wie viele Leute direkt nach dem Studium bereits den Drang verspüren, richtig Geld zu verdienen und Gas zu geben. Man kann das anders lösen. Man kann sich seinen Themen und Projekten hingeben und einen Lifestyle ohne viel Geld pflegen.
ANNA BLATTERT: Viele meiner Studenten sind business-fokussiert. Ich weiss nicht, ob das ein Druck ist, der von aussen auf sie einwirkt. Aber ich finde es schade. Man sollte sich die Zeit nehmen, eine erste gestalterische Sprache zu formulieren. Eine erste. Die entwickelt sich ein Leben lang weiter. Man sollte kreativ sein und Dinge ausprobieren, eine Haltung entwickeln. Frei sein! Denn diese Zeit hat man nie mehr.
MATTHIAS WINTER: Max Frisch hat einmal gesagt: Es gibt immer irgendwo ein schwarzes Quadrat, das etwas Unbekanntes darstellt, aber das gleichzeitig die Gegenposition einnehmen kann. Ich finde es toll, dass das existiert und wir sie provozieren können, diese Gegenposition. Kritisch sein. Während dem Studium ist es wichtig, die Dinge zu hinterfragen. Selbständig denken zu lernen. Eine Gegenposition zum Commonsense einnehmen. Über Alternativen nachdenken, irritieren und auch mal scheitern. Als Student musst du das, das wäre der Moment.
HOCHPARTERRE: Möchte sich sonst noch jemand äussern oder wollen wir mit Max Frisch aufhören?
CAMILLA BERNBACH: Max Frisch ist gut.