12.09.2013, Züritipp

Das Gute liegt so nah

Am Sonntag lädt Slow Food Youth zum Eat-in unter den Arkaden des Zürcher Helmhauses. Wir nehmen diese grosse Mitmachtafelrunde zum Anlass, drei Mitglieder der jungen, urbanen Bewegung vorzustellen.

Von Stephanie Rebonati
Fotos: Reto Oeschger

Die Vielseitige
Anna Hofmann wuchs mit der Philosophie von Slow Food auf, ohne dass diese Haltung so benannt wurde. Die Grosseltern betrieben eine Gärtnerei, bei den Eltern wurde Gemüse angebaut, die Kinder würfelten stundenlang Tomaten für Sugo, lernten, Reste zu verwerten und gemeinsam am Tisch zu essen - Werte, die Anna Hofmann heute noch prägen. Die 32-jährige PR-Fachfrau engagiert sich bei Slow Food Youth, weil eine integrierende Haltung dahinterstecke: «Wir sagen, schau mal, iss doch Erdbeeren, die gut schmecken, weil sie vom lokalen Bauernhof stammen und soeben geerntet wurden.» Ihr gefällt das undogmatische Verständnis der Bewegung, denn dadurch werde eine heterogene Gruppe von Menschen angesprochen, und Vielfalt sei schliesslich das Ziel. Vielfalt passt ohnehin zu Hofmann: Sie leitet eine Kommunikationsagentur im Seefeld und ist Geschäftsführerin von Cuisine sans Frontières, einer Schweizer Organisation, die in Krisengebieten Gemeinschaftsküchen aufbaut - und sie hat eine Faszination für Tomaten. In der Stadtgärtnerei flaniert sie gern die Tomatenstöcke entlang und liest die lustigen Namen: Green Zebra, Deutsche Riesentraube, Kirsch-Bistro-Tomate.

Das Tischt Anna Hofmann am Eat-in auf: «Ich gehe am Freitagnachmittag in die Stadionbrache zu Brotoloco, der Brotkooperative, und kaufe mir dort ein Pfünderli, frisch aus dem Lehmofen. Am Samstag am Pro-Specie-Rara-Vielfaltsmarkt im Viadukt finde ich bestimmt was Feines für verschiedene ‹Iklämmti›.»

Die Leidenschaftliche
Anna Pearson liest Kochbücher - sie besitzt davon 187 -, wie andere Romane lesen. Wenn sie über roten Mangold, violetten Rosenkohl und Topinambur spricht, sagt sie immerzu: «Es macht mich einfach glücklich.» An einem frischen Morgen, es nieselt durch die Pergola, sitzt Anna Pearson in ihrem Schrebergarten und erzählt, wie sie nach dem Designstudium erkannte, dass sie nicht vor den Laptop, sondern an den Herd gehöre. Im Tessin absolvierte sie im Restaurant ihrer Tante ein Praktikum, kochte sich in Zürich im Italia zur Souschefin hinauf, koordinierte in der Senior Design Factory das Mittagsmenü und konzipierte ihre eigene Tafelrunde. Sie träumt davon, an der Slow Food Universität im Piemont einen Master zu machen. Derzeit arbeitet die 31-Jährige an ihrem ersten Kochbuch. Ihr Konzept: nachhaltig essen. Das deckt sich mit dem Credo der internationalen Bewegung Slow Food Youth, deren Schweizer Gemeinschaft Pearson 2011 mitgegründet hat. «Ich möchte auf lustvolle Weise zeigen, dass saisonale und regionale Ernährung nichts mit Körnchenpicker und Birkenstock zu tun hat», sagt Anna Pearson und schneidet drei kleine Zucchini vom Strauch, der vor ihrem Schrebergartenhäuschen wächst.

Das Tischt Anna Pearson am Eat-In auf: «Ich besorge mir auf dem Markt Fisch aus dem Zürisee, räuchere ihn im Wok über Buchenspänen. Dazu eine Meerrettichmaionnaise mit Eiern der Fiechter-Schwestern (Markt Helvetiaplatz, Oerlikon) - die Fiechters sind eine der besten Adressen für Geflügel und Fleisch!»

Der Pragmatische
Luca Casetti sitzt in einem kiesbedeckten Hinterhof und greift in seinen Tabakbeutel. Er sagt: «Ich esse gern einfach, nicht abgehoben.» Ihm ist eine Platte mit drei regionalen Käsen lieber, als ein delikates Dutzend aus Übersee. Konsequent einkaufen tut er trotzdem nicht, den Umständen und seiner Faulheit wegen. Das sei kein Widerspruch, sondern habe mit Pragmatik zu tun. Der 28-jährige wissenschaftliche Mitarbeiter der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften ist überzeugt: «Die Welt wird nicht besser, wenn alle einfach Bio kaufen. Das Problem ist weit komplexer.» Sein Beitrag, die Komplexität ein wenig zu reduzieren, sind Workshops in Kindergärten und Schulklassen, die er mit Slow Food Youth leitet. Den Kleinen zeigt er spielerisch auf, welches Gemüse und Obst welcher Jahreszeit zugeordnet wird. Mit den Gymnasiasten wird Butter und Brot hergestellt und über die globale Verschwendung von Lebensmitteln diskutiert. Luca Casetti möchte den jungen Menschen den pragmatischen Umgang mit Essen vermitteln: «Verarbeite das Vorhandene so gut wie möglich. Das gilt für Lebensmittel von regionalen Feldern und für die Reste im Kühlschrank.»

Das tischt Luca Casetti am Eat-in auf: «Vielleicht versuche ich mich an Zürcher Tirggeln. Aber wahrscheinlich habe ich gar nicht genug Zeit, um gross in der Küche zu stehen. Dann bringe ich einfach Zürcher Wein, Zürcher Käse und ein feines, selbst gebackenes Brot mit.»

Slow Food Youth Schweiz und das Eat-In:

2011 wurde Slow Food Youth Schweiz mit dem Ziel gegründet, jungen Konsumenten das Bewusstsein für lokale, saisonale und fair produzierte Lebensmittel zu vermitteln. Die Gemeinschaft - noch sind vor allem Zürcher dabei - organisiert jeden ersten Mittwoch im Monat einen Stammtisch an wechselnden Orten, Betriebsbesuche in der ganzen Schweiz, Workshops in Kindergärten und Schulen sowie sogenannte Eat-ins. An diesen Tafelrunden kann jeder teilnehmen, der selber ein Gericht oder Delikatessen mitbringt, die zum Thema des Anlasses passen. Das Herbst-Eat-in findet am 15. September 2013 beim Helmhaus statt. Slow Food Youth ist die Tochterbewegung des Vereins Slow Food, der 1986 von einem italienischen Publizisten als Antwort auf Fast Food und auf die Industrialisierung des Essens gegründet wurde. Der Verein Slow Food engagiert sich in über 150 Ländern für gute, saubere und fair produzierte Lebensmittel.

DOWNLOAD PDF

Webdesign und Webagentur Zürich