30.09.2019, Cubatura Graubünden

650 Kilo Butter und ein Intarsienschrank aus dem 17. Jahrhundert

Im Oberengadin steht ein 163-jähriges Grand Hotel, das den Wintertourismus erfunden hat. Pro Wintersaison verkauft es 2806 Pizzen und engagiert zwei Floristinnen, die wöchentlich 200 Blumenarrangements gestalten. Vor genau 140 Jahren brannte im Kulm St. Moritz auch das erste elektrische Licht der Schweiz. Eine Liste mit bedeutsamen Belanglosigkeiten.

Recherche und Text: Stephanie Rebonati
Bilder: Filipa Peixeiro

Das Hotel führt 30 Teesorten im Angebot.

Im Festsaal West steht ein Intarsienschrank aus Holz mit Elfen- beineinlagen aus dem 17. Jahrhundert. Er misst 231 x 150 x 58 Zentimeter, stammt aus italienischer Manufaktur und ist kunstvoll dekoriert mit floralen Motiven, Engeln, Faunen und Allegorien im Renaissancestil.

Maria und Andrea (als italienischer Männername) sind die häufigsten Vornamen der Angestellten.

Das Club-Sandwich mit Pommes frites kostet 35 Franken.

Die Gebäude des Hotels – den Ur-, Mittel- und Neukulm – sind nur über das Erdgeschoss und den ersten Stock miteinander verbunden.

Die italienische Komödie «A Natale mi sposo» wurde 2010 im Kulm gedreht. Sie dauert 97 Minuten. George Clooneys Exfreundin Elisabetta Canalis mimt die Hochzeitsplanerin Paloma.

Das Kulm wird von zwei Familien geprägt. 1887 fügte der Bündner Architekt Nicolaus Hartmann senior den Mittelkulm an, 1911 baute sein Sohn Nicolaus Hartmann junior den Neukulm (die künstlerische Ausstattung des Neukulms bestand vor allem aus Deckenstuckaturen, Holzgeländern, Heizungsgittern und schmiedeeisernen Lampen mit Glasperlen). Heinz Hunkeler senior (er begann als Kochlehrling im Kulm) stieg 1972 zum Direktor auf und blieb es bis Mai 2002, seit April 2013 führen sein Sohn Heinz Hunkeler junior und dessen Frau Jenny das Hotel. Hunkeler junior ist kurz vor der Ski-WM 1974 zur Welt gekommen.

Im Kulm wurden 1928 und 1948 die Olympischen Winterspiele eröffnet.

Im Sommer 2015 waren in den 132 Zimmern, 24 Junior-Suiten, 6 Suiten und in den öffentlichen Räumlichkeiten insgesamt 4200 LED-Glühbirnen und 400 Telefone in Betrieb.

Aktuell zählt das Kulm 121 Zimmer und 43 Suiten.

Das Hotelgeschirr besteht aus 9000 Gabeln, Messern und Löffeln aus Silber, 15000 Porzellantellern, 5500 Wein- und 10 000 Wassergläsern.

Um 1900 zierten ausgestopfte Tiere wie ein Steinadler samt Horst, eine Gämse, Eulen und ein Arrangement von Alpenpflanzen die Eingangshalle.

Die Pflegeprodukte in allen Gästezimmern stammen von der britischen Marke Asprey London, die 1781 in Surrey gegründet wurde und sich auch auf Schmuck, Leder- waren und Möbel spezialisiert hat. 1973 wurde Asprey damit beauftragt, ein Schachspiel für Ringo Starrs Geburtstag zu fertigen.

The Pizzeria ( Dresscode: smart casual ) verkauft im Winter pro Abend ca. 23 Pizzen. Das sind 2806 in der Saison, die 122 Tage zählt. Pizza Margherita ist die meistbestellte Pizza. Auch das klassische Vitello tonnato sowie die frittierten Calamari und Riesenkrevetten sind äusserst beliebt.

Im Herbst 1864 ging Gründer und Hotelpionier Johannes Badrutt mit englischen Gästen eine Wette ein. Der Hotelier behauptete, dass es ihnen auch im Winter gefallen würde. Bis anhin hatte man den Kurort nur in den Sommermonaten aufgesucht. Badrutt bot den Engländern einen kostenlosen Aufenthalt, sollte er Unrecht behalten. Tat er nicht. Der Wintertourismus war geboren.

Das Hotel hat eine Länge von 400 Metern.

2012 wurde der Wellness-Bereich für 17 Millionen Schweizer Franken renoviert. Das Spa verfolgt ein sogenanntes «Drei-Säulen-Konzept », das sich mit Entspannung, Entschlackung und Regeneration befasst.

Im Juli 1879 leuchtete im Speisesaal des Hotels das erste elektrische Licht der Schweiz. In der Literatur tauchen dafür zwei mögliche Daten auf: der 15. oder 18. Juli. Badrutt hatte 1878 die Weltausstellung in Paris besucht, wo er auf die neue elektrische Beleuchtungsanlage eines Pariser Feinmechanikers gestossen war, eine kleine Vier-PS-Wechselstrom-Dynamomaschine, die einige Bogenlampen zum Leuchten brachte. Zurück in der Schweiz liess er durch die Firma Stirnemann & Co. aus Zürich in seiner Schreinerei ein solches Lichtwerk bauen. Der Brattasbach lieferte die Wasserkraft und weil Glühlampen noch unbekannt waren, erzeugten Bogenlampen des Systems Jablochkoff das Licht. Gemäss dem schweizerischen Telefonmuseum TELEPHONICA in Islikon TG kostete die Anlage rund 18 000 Franken. Badrutt installierte neben die russenden Petroleumlampen im Speisesaal die neuen Bogenlampen und versah den Platz vor dem Hotel mit einem Kandelaber mit elektrischem Licht.

Im Winter arbeiten 28 Zimmermädchen im Kulm. Im Sommer sind es 17. Alle männlichen Mitarbeiter im Housekeeping sind sogenannte Etagenportiers.

Ca. 50 Prozent der Gäste sind Stammgäste.

In der Altitude Bar hängen drei Werke von Gavin Turk, geboren 1967. Eins zeigt Andy Warhols Konterfei. Turk ist Bildhauer und Installationskünstler und wird zu den «Young British Artists» gezählt. Auch Damien Hirst und Jenny Saville werden den YBA kunsthistorisch zugeteilt.

Der Kaffee stammt aus Brasilien, Indien und Indonesien. Die Kaffeesorten werden im Engadin durch das Delikatessengeschäft Glattfelder gemischt, eine St. Moritzer Institution, die seit den 1970er-Jahren auf Kaffee, Tee und Kaviar spezialisiert ist. Die Familienfirma wird in dritter Generation geführt.

Für die Sommersaison 1877 liess Johannes Badrutt in der Empfangshalle eine neue Rezeption bauen. Der neue Concierge hiess Ezio Torriani. Er war ein begnadeter Sänger, der bei jeder Gelegenheit seine romanischen Lieder durch das Grand Hotel ertönen liess.

Zum Start der letzten Wintersaison präsentierte das Kulm 40 neu gestaltete Zimmer und Suiten – vom französischen Innenarchitekten Pierre-Yves Rochon entworfen, der auf Taupe, Beige und Grau setzte, «wobei sattes Blau und wahlweise Bordeaux Akzente setzen». Die neuen Räume, allesamt im Gebäudeteil Mittelkulm, wurden mit lokalem Arvenholz ausgestattet. Es handelt sich um die grösste Zimmerrenovation seit Hotelbestehen.

Giacomo Gaffuri, Hotelelektriker und Aufseher der Sportplätze, kam als 15-Jähriger ins Kulm und blieb bis zu seinem Tod 1963 im Alter von 97 Jahren.

Barbara Knies und Esther Biedermann sind die Dienstältesten im Kulm. Senior-Gouvernante Knies arbeitet seit 46, Biedermann, früher Chef de Réception, heute Rooms Division & Buchhaltung, seit 42 Jahren im Haus.

Im September 2018 ging Chef-Concierge Silvio Martocchi nach 44 Jahren in Rente. 1947 kam der gebürtige Norditaliener als Bellboy ins Kulm, 2010 wurde er von der Bilanz zum
«Concierge des Jahres» gewählt. Das «absolute Highlight» seiner Karriere sei 1985 das 100. Jubiläum des Cresta-Bob-Runs gewesen, für welches der britische Adel angereist war (die Briten haben den Sport erfunden). Die lustigste Angelegenheit, die Martocchi in den ganzen Jahren in die Wege leiten musste, war das Einfliegen von Lieblingswürsten eines Gastes mittels Privatjet.

Die 175 Quadratmeter grosse Suite ist im Winter fast immer ausgebucht. Sie ist ab 4000.– Franken pro Nacht zu haben.

Als St. Moritz im Jahre 1889 das erste öffentliche Telefonnetz mit 24 lokalen Verbindungen erhielt, war das Engadiner Kulm einer der ersten Abonnenten. Doch bereits 1879 hatte Badrutt eine direkte Telefonverbindung zwischen dem Kulm und der Ärztepraxis in St. Moritz Bad eingerichtet, die übrigens seinem Schwager Dr. Peter R. Berry gehörte. Badrutt hatte 1878 an der Weltausstellung in Paris mit dem neuen Telefon von Alexander Graham Bell Bekanntschaft gemacht. Übrigens wurde an jener Weltausstellung auch der fertige Kopf der Freiheitsstatue ausgestellt.

Um die kleinen Gäste zu unterhalten, wurde das «V.I.K. Pro- gramm» konzipiert: Very Important Kids.

650 Kilo Butter werden in einer Wintersaison im Grand Restaurant verarbeitet.

Die Lobby wurde vom italienischen Innenarchitekten Renzo Mongiardino eingerichtet. Er arbeitete auch für Onassis, die Rothschilds und für Versace. In den 1990er-Jahren überzog er die Syenitsäulen der Lobby mit einem handbedruckten Leinen-Seiden-Gemisch, das Blumen und andere Ornamente zeigt.

2015 wurde für eine russische Hochzeit der Festsaal mit 12 000 weissen Rosen und 700 Bünden Efeu dekoriert. Zwölf Floristinnen arbeiteten fünf Tage lang daran.

1876 hiess der Maître d’hôtel Jean-Luc.

Im 20 Meter langen Schwimmbecken (29 Grad warm) im Spa-Bereich des Hotels spielt Unterwassermusik. Der Sauna- und Poolbereich kann zudem ab 20.30 Uhr ab 600 Franken privat gebucht werden.

In der Wintersaison, von Anfang Dezember bis April, pflegen zwei eigens dafür angestellte Floristinnen die 200 Orchideen und gestalten wöchentlich 200 grössere und kleinere Blumenarrangements für die Dekoration der Anreisezimmer, Restaurants und öffentlichen Bereiche. Das Blumenmotto wechselt wöchentlich.

In der Sunny Bar, der ältesten Sportbar der Schweiz, hing bis vor Kurzem an der Bilderwand ein Rahmen mit graumelierten Barthaaren. Wem sie gehörten, weiss niemand.

In der Pressemappe trifft man auf Seite elf auf folgenden Satz: «Damit die Mütter im Urlaub und nach der Ankunft zu Hause nicht waschen müssen, ist auch der Wäscheservice während des gesamten Aufenthaltes für Kinder bis zwölf Jahre kostenlos.»

Das Personal stammt aus 20 Nationen: Griechenland, Italien, Schweiz, Deutschland, Spanien, Österreich, Neuseeland, Portugal, Slowakei, Rumänien, Ungarn, Frankreich, Holland, Lettland, Russland, Grossbritannien, Litauen, Schweden, Slowenien, Ukraine. Gesprochen wird hauptsächlich Italienisch.

Das Grand Hotel ist im Besitz der griechischen Reeder-Dynastie Niarchos. Die Familie ist der grösste private Grundbesitzer in St. Moritz.

Gästen wird eine Auswahl von acht Gesundheitskissen geboten. Sana vital (sein Geheimnis ist der Drei-Lage-Kern, bestehend aus einer weichen und einer stützkräftigen Seite mit zwei verschieden hohen Wellen) und Sana sleep (bietet speziell im sensiblen Nackenbereich ein Höchstmass an Entspannung und Liegekomfort) sind die beliebtesten. Das Hotel hat auch Chriesisteisäckli und Arvenkissen im Angebot. Letztere sollen das Schnarchen einschränken.

1856 erwarben Johannes und Maria Badrutt die Zwölf-Zimmer-Pension «Faller», eine der frühesten Fremdenpensionen von St. Moritz-Dorf, für 28 500 Franken. Ihr «Engadiner Kulm» wurde das erste Hotel in St. Moritz. 1886 folgten der Bau des Westflügels sowie der ersten Hotellobby.

2016 wurden acht, 2017 neun und 2018 zehn Hochzeiten im Kulm gefeiert.

Das Hauptrestaurant des Kulms heisst Grand Restaurant, hier wird gefrühstückt und abends ein Sechs-Gang-Menü aufgetischt (Dresscode: elegant). Im The K (Dresscode: smart elegant) kocht der 44-jährige deutsche Koch Tim Raue (19 GaultMillau-Punkte und 2 Michelin-Sterne). Die zwei meistbestellten Gerichte im The K sind derzeit Ikarimi-Lachs mit Tomate und Sternanis sowie Wasabi Rock Lobster mit Mango und Nuoc Mam, einer vietnamesischen Fischsauce. Der Begriff Ikarimi stammt aus dem Japanischen und bedeutet festes Fleisch. Der Lachs, der aus einer norwegischen Aquakultur stammt, wird vor dem Schlachten auf zwei Grad Celsius heruntergekühlt, um den Stress des Tieres einzudämmen – das Filet gewinne dadurch an Farbe und Geschmack. Im Kulm Country Club (Dresscode: smart casual, übrigens im historischen, von Norman Foster neu gestalteten Eispavillon untergebracht) landet das Beefsteak-Tatar mit Kartoffelstampf und Whisky-Röstzwiebeln am häufigsten vor den Gästen.

Hoteldirektor Heinz E. Hunkeler beantwortet seit Juni 2017 die meisten Bewertungen auf TripAdvisor (bis Redaktionsschluss waren es insgesamt 821) persönlich. Die Titel, welche die Gäste für ihre Feedbacktexte wählen, sind beeindruckend.

rendanK: An oasis from all your troubles
JohanFromBelgium: «The Shining» in Switzerland
CBKK: Soso
Vulpes69: Thank You ...!!!!
OmarN: Celebrated my wife’s birthday
HermesGoddess: Step in and leave it all behind
AlexS: Feeling like a King
VIDAMID: HANDS DOWN, THE BEST HOTEL IN THE WORLD – AND I HAVE SEEN THEM ALL
Watty0407: Drinks
MelbourneWoody: Stay there for the outdoor heated horizon pool.
Nyer_9: Faded Glory
Gtahir: Charming but No AC
Mepy: Not a pleasant statement
Rascalsmum: Unfortunately a wedding
ToddC : You will love it.
Vacation028 : Stunning, literally

Das Kulm befindet sich auf 1856 Meter über Meer. Die Zahl entspricht dem Gründungsjahr des Hotels.

In der Stüva Johannes Badrutt mitsamt Originaleinrichtung aus dem Jahre 1856 werden Private Dinings für zwei bis maximal zehn Gäste angeboten.

Vom 23. bis 25. Februar dieses Jahres fand in St. Moritz die Polterfeier von Akash Ambani und Shloka Mehta statt. Ambani ist der Sohn des reichsten Mannes in Asien, Petrochemie-Unternehmer Mukesh Ambani, und der Vater der Braut ist einer der grössten Diamantenhändler der Welt. Ein Teil der Festivitäten fand im Kulm statt, wo für die Dekoration 15 000 Blumen eingesetzt wurden.

Weil das Wetten im Kulm Tradition hat, wurde in der Sommer- und Wintersaison 2006 anlässlich des 150. Jubiläums die Aktion «Whatever You Like» durchgeführt. Dabei versprach der damalige Hoteldirektor Dominique Godat, seinen Gästen jeden Wunsch zu erfüllen. Klappte es, zahlte der Gast die Spesen für die Dienstleistung (ein Gast trat in einem Musical auf, ein anderer golfte mit Jakob Hlasek). Klappte es nicht, bekam der Gast vom Hotel eine Vergütung geschenkt (etwa mit damaligem Küchenchef Hans Nussbaumer am Herd stehen, der 2018 übrigens nach über 25 Kulm- Jahren und 16 GaultMillau-Punkten in den Ruhestand ging). Gemäss einem Artikel in der Schweizer Illustrierten vom 24. Juli 2006 machte Godat damals vor allem eine Wette zu schaffen: Ein Gast wollte als Tramchauffeuse das Märlitram in Zürich fahren.

Die aktuelle Sommersaison ging am 1. September zu Ende. Ab dem 6. Dezember ist wieder offen.

DOWNLOAD PDF

Webdesign und Webagentur Zürich